Stern der Göttin
wurden.
Als Ysobel näher kam, wichen ihr die Tanfuner ängstlich aus und öffneten eine Gasse für sie. Ihr missmutiger Gesichtsausdruck verlor sich, als sie Laisa erkannte. »Endlich ein Lichtblick in einem Heer von Narren! Schau dir an, wie die mich behandeln. Als wäre ich aussätzig.«
Laisa lenkte ihre Stute an Ysobels Seite und grinste. »Mach dir nichts daraus! Genauso musste ich durch halb Tanfun reiten, um die Leute nicht zu erschrecken.«
»Aber jetzt bist du das Zeug los, während ich …« Ysobel brach mit einem leisen Fluch ab, während Laisa zu lachen begann.
»Sobald wir wieder unter Leuten sind, werden wieder zwei Männer mit Fahnen neben mir herlaufen oder -reiten und bezeugen, dass ich kein menschenfressendes Ungeheuer bin. Das hier ist wirklich ein seltsames Land.«
»Das kannst du laut sagen!« Ysobel schnaubte und schüttelte dann den Kopf. »Weißt du, ich habe ja schon viel über die Bewohner der Westseite des Stromes gehört. Sie sollen schrecklich sein, kriegslüstern, hinterhältig, gemein, grausam und vielerlei mehr. Aber eines wurde bisher nie gesagt: Die Leute sind völlig verrückt! Linirias sei Dank sind sie das, denn sonst wären sie uns beinahe so ähnlich wie Vettern oder gar Brüder.«
Es lag so viel komisches Entsetzen in Ysobels Stimme, dass Laisa hell auflachte. In einem hatte ihre Freundin jedoch recht: Die Tanfuner waren wirklich ein wenig eigenartig. Aber als verrückt hätte sie sie dann doch nicht bezeichnet.
☀ ☀ ☀
Laisas schnelle Rückkehr mit dem Erbprinzen ließen Hubai und dessen Leute an ein Wunder glauben. Sie starrten dem Reisezug entgegen, der nun angesichts der Festung die bemalten Fahnen entrollt hatte, die allen verkündeten, dass hier der Erbprinz Punji mit seiner Garde ritt.
Laisa und Borlon durchquerten als Erste das offene Tor. Ein Raunen erscholl, als die Tanfuner des hünenhaften Bärenmenschen ansichtig wurden. Dann lenkte Punji sein Pferd herein, und alle wurden still. Der Oberpriester trat näher und blickte ihm ins Gesicht.
»Es ist der Prinz!«, rief er mit lauter Stimme, als wolle er auch den letzten Skeptiker überzeugen, und beugte ein Knie. Auch Hubai verbeugte sich vor Punji, sah dabei aber eher unsicher, beinahe sogar ängstlich aus.
Punji musterte den Mann, der sich als einer der Ersten auf Waihes Seite geschlagen hatte, mit einem durchdringenden Blick. Dann schwang er sich aus dem Sattel und blieb breitbeinig vor den beiden knienden Männern stehen.
»Ich freue mich, Euch wohlbehalten wiederzusehen, hochwürdiger Vater«, begrüßte er den Priester.
Hubai ignorierte er dabei völlig. Der Gouverneur der Nordprovinz warf Laisa einen hilfesuchenden Blick zu. Diese trat neben ihn und machte Punji auf ihn aufmerksam. »Darf ich dir den ruhmreichen Krieger und Feldherrn Hubai empfehlen, der mitgeholfen hat, die Priester aus der Gefangenschaft zu befreien und den Norden Tanfuns mit starker Hand an deine Seite zu führen?«
Laisa hoffte, dass der Junge genug Verstand besaß, um nicht seinen Launen zu folgen. Wenn er jetzt falsch entschied, war alles, was sie erreicht hatte, dahin.
Punji atmete mehrfach tief durch. Dann sah er seinen Lehrer an, doch Tiehu zog sich mit einem Lächeln ein paar Schritte zurück. Diese Entscheidung konnte nur der Prinz allein treffen. Schließlich wandte Punji sich Hubai zu und bedeutete ihm, dass er aufstehen solle. Als Punji zu sprechen begann, klang seine Stimme gepresst.
»Hubai, ich danke dir für deine Treue, die du mir zwar spät, aber noch zur rechten Zeit erwiesen hast. Ich bestätige dich in deinem Rang als Gouverneur der Nordprovinz und ernenne dich gleichzeitig zum neuen Kronfeldherrn des Reiches Tanfun. Außerdem wirst du zusammen mit dem hochwürdigen Herrn Oberpriester und meinem ehrwürdigen Lehrer Tiehu bis zu meiner Volljährigkeit den Regentschaftsrat bilden!«
Dies war mehr, als Waihe dem Gouverneur je hätte anbieten können. Hubai strahlte über das ganze Gesicht, als er sich Punji zu Füßen warf und ihm unverbrüchliche Treue für alle Zeiten schwor.
Laisa bedachte den Prinzen mit einem anerkennenden Blick. Er war klug und wusste in der Situation angemessen zu reagieren. Da er Hubai in Gnaden wieder aufgenommen hatte, konnte der Usurpator Waihe sich keines Einzigen seiner Gefolgsleute mehr sicher sein.
Obwohl Hubai die Ankunft des Prinzen nicht so früh erwartet hatte, war alles für ein Festmahl vorbereitet. Punji und seine Begleiter hatten gerade noch genug Zeit, sich zu
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