Stern der Göttin
leid, Laisa, aber als ich gesehen habe, wie der Bursche auf mich losgeht, konnte ich nicht anders.«
Ysobel hatte das ihre getan, um den Jungen zu reizen, dachte Laisa, doch sie ließ die Entschuldigung gelten. Jetzt drehte sie ihren Gefangenen so herum, dass er ihr in die Augen sehen musste, und sah, wie er vor Angst erstarrte.
Sein Begleiter war unterdessen näher gekommen, schien aber nicht zu wissen, ob er eingreifen oder es beim Beten belassen sollte. Schließlich stieg er unbeholfen vom Pferd und deutete vor Borlon, der als Bärenmensch unzweifelhaft zur weißen Farbe gehörte, eine Verbeugung an.
»Verzeiht, edler Herr, aber Ihr seht mich verwirrt. Wir dachten, wir sähen Feinde vor uns. Nur aus diesem Grund hat mein Prinz zur Waffe gegriffen. Auch wundere ich mich über die Leute in Eurer Gesellschaft. Sind es Eure Sklaven?«
»Sklaven? Wo siehst du hier Sklaven?« Laisa stieß ein wütendes Grollen aus.
Borlon bat sie, sich zu beruhigen, und erwiderte die Verbeugung des Alten. »Es mag etwas verwunderlich sein, Leute von beiden Seiten des Stromes als gemeinsam Reisende zu sehen, doch sind wir alle durch die gleiche Gefahr gegangen und haben sie gemeinsam bestanden. Nicht nur die Ehre, auch die Achtung vor der Leistung des anderen gebietet uns, Freundschaft zu halten. Außerdem zählen nicht alle meine Begleiter zu den Völkern jenseits des Großen Stromes!«
Wie zur Bestätigung seiner Worte schoss Naika aus dem Wasser hoch, schlug einen Salto in der Luft und landete mit einem heftigen Platschen wieder im Wasser. Es spritzte so, dass alle davon getroffen wurden. Während Rongi, der ungern nass wurde, unwirsch die Nase krauszog, sank der Alte auf die Knie.
»Welch ein Wunder! Eine Nixe so nahe am Großen Strom. Gesegnet sei dieser See, den Ihr bewohnt.«
»Ich bewohne ihn nicht, sondern bade nur während unserer Reise hier. Die guten Leute bringen mich nämlich nach Hause, nachdem ein verderbter Magier unserer Seite mich und sie in Gefangenschaft gehalten hat.«
»Ein verderbter Magier sagt Ihr, Herrin?« Der Blick des Alten flog in die Richtung, in der er die Berge des Ödlandes wusste. »Wir haben von ihm gehört und meiden daher im Allgemeinen diese Gegend. Nur sind mein Herr, Prinz Punji …«
»König Punji«, unterbrach ihn der Junge.
»Noch seid Ihr Prinz, denn Ihr wurdet bisher weder gekrönt noch in die Stammtafeln des gelben Tempels der Heiligen Stadt eingetragen«, wies sein Begleiter ihn sanft zurecht, um sich dann noch einmal in Richtung Laisa zu verbeugen.
»Ihr seht meinen Herrn und Erben des Thrones von Tanfun, Prinz Punji, und meine Geringfügigkeit, seinen Lehrer Tiehu vor Euch.«
»Ich bin Laisa«, antwortete die Katzenfrau in einem Ton, als müsste jeder sie kennen. »Das hier sind meine Gefährten Ysobel, Naika, Rongi und Borlon!«
»Sehr erfreut«, erklärte Tiehu.
Punji presste die Lippen zusammen und sah dann Laisa an. »Du kannst mich loslassen. Ich gewähre euch meinen Schutz als Erbe des Reiches Tanfun!«
Das klang so großspurig, dass Laisa lachen musste. »Sagen wir besser, wir gewähren dir und deinem Begleiter Schutz!«
»Einen Schutz, den wir gut gebrauchen können«, seufzte der Alte.
Laisa spitzte die Ohren. »Falls ich richtig verstanden habe, steckt ihr zwei in Schwierigkeiten.«
Tiehu nickte. »Leider! Die Welt ist nicht mehr das, was sie früher war. Wer hätte in anderen Zeiten daran gedacht, den Erben eines Reiches nach dem Tode des Vaters ermorden zu wollen und dadurch die von Talien gebotene Ordnung zu stören? Es müssen wahrlich schlechte Einflüsse über den Strom herübergeweht worden sein, dass so etwas möglich ist.«
Er hatte es kaum gesagt, da geriet Ysobel wieder in Rage. »Sag das nicht noch einmal, alter Mann! Im Gegensatz zu dem Gesindel auf dieser Seite halten die Völker der roten Seite Sitte und Brauch in Ehren. Dort müsste der Erbe eines Reiches nicht vor Feinden aus dem eigenen Land fliehen.«
Da Laisa die Flussmäuler, aber auch ihre Mitgefangenen von drüben kennengelernt hatte, bezweifelte sie diese Aussage, hielt sich aber zurück. Borlon, dessen Volk gelegentlich Kontakt zu Tanfun hatte, kniete nun neben Punji nieder, um ihn nicht mehr so weit zu überragen, und musterte den Jungen kritisch.
»Als Prinz von Tanfun müsstest du die entsprechende Tätowierung tragen!«
»Ich trage sie«, schnaubte Punji und forderte seinen Lehrer auf, ihm dabei zu helfen, Brustpanzer und Oberbekleidung abzulegen. Wenig später stand er mit
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