Stern der Riesen
untersuchte langsam die Ausstattung, die Orna-
mente, die Bilder an der Wand und die Deckenbeleuch-tung, fand aber nichts, was einen deplazierten Eindruck erweckte. Nachdem sie sich noch einmal kurz den Plan des Hauses vor Augen gerufen hatte, wählte sie einen schmalen Gang, der zu dem Flügel mit den Arbeitsräumen zu führen schien, und folgte ihm.
Nachdem sie das System von Zimmern durchforscht hatte, zu dem der Gang führte und die sie zum größten Teil schon während der kurzen Führung gesehen hatte, die von Sverenssen für sie durchgeführt worden war, kam sie schließlich zu der einzigen Tür zurück, die in den festungs-
ähnlichen Flügel führte. Sie drückte vorsichtig den Griff herunter, aber die Tür war verschlossen, wie sie das nicht anders erwartet hatte. Als sie mit ihrem Knöchel an sie klopfte, hörte sich das klanglos und massiv an, und zwar selbst bei den Teilen, die wie gewöhnliche Holzpaneele aussahen. An der Oberfläche mochte das zwar Holz sein, aber darunter befand sich noch eine ganze Menge Material, das auf keinen Fall Holz war – diese Tür sollte weit mehr als nur den Luftzug abhalten. Ohne einen Gesteinsbohrer oder ein Sprengkommando von der Armee kam sie hier nicht weiter. Also kehrte sie um und ging in den mittleren Teil des Hauses zurück. Als sie sich in Bewegung setzte, kam ihr eine der Skulpturen in dem zentral gelegenen Raum in den Sinn. Als sie sie zum ersten Mal gesehen hatte, war es ihr noch nicht aufgefallen, aber als sie jetzt wieder daran dachte, wurde ihr klar, daß ihr an der Skulptur etwas bekannt vorkam. Ach was, dachte sie, während sie versuchte, sie sich wieder vorzustellen. Das war doch ganz sicher unmöglich, sie runzelte die Stirn und ging etwas schneller.
Das Objekt stand in einer beleuchteten Nische auf einer Seite des gemauerten Kamins – ein abstrakter Gegenstand aus irgendeinem silbern und golden durchscheinenden Kristall von ungefähr acht Zoll Größe, der in einem massiven schwarzen Sockel versenkt war. Als sie sich die Skulptur vor einigen Minuten beiläufig angesehen hatte, war sie ihr zumindest recht abstrakt vorgekommen. Nun aber, als sie sie aufnahm und langsam in ihren Händen drehte, kam sie immer mehr zu der Überzeugung, daß ihre Form nicht blo-
ßer Zufall sein konnte.
Ihr unterster Teil bestand aus einer Komposition von Flächen und Formen, die alles mögliche bedeuten konnte, aber daraus ragte als Hauptteil der Plastik eine sich nach oben verjüngende Säule aus fein geschnitzten oder gehaue-nen Terrassen, Ebenen und Brüstungen, die mit fließenden Linien und deutlichen Kurven nach oben stiegen. Sollte hier vielleicht ein Turm dargestellt werden, fragte sie sich.
Ein Turm, den sie vor nicht allzulanger Zeit gesehen hatte?
Von der Säule aus führten drei schlanke Türme weiter nach oben – drei Türme, die direkt unter ihrer Spitze eine kreisförmige Scheibe trugen. Eine Plattform? Die Scheibe trug auf ihrer Oberfläche weitere sorgsam geschnitzte Details.
Sie drehte die Skulptur um... und schnappte erschrocken nach Luft. Da waren weitere Details, die zusammen ein unschwer erkennbares Muster von konzentrischen Kreisen ergaben – auf der Unterseite der Plattform! Was sie da ansah, war eine Darstellung des zentralen Turms in der Stadt Vranix. Das konnte unmöglich sein – aber eine andere Interpretation war ausgeschlossen.
Ihre Hand zitterte, als sie die Plastik vorsichtig wieder in ihre Nische stellte. Wo war sie hier hineingeraten, fragte sie sich. Ihr erster Impuls war, in ihr Zimmer zurückzuge-hen, ihre Sachen zu packen und so schnell wie möglich zu verschwinden. Als sie sich aber mühsam zu etwas mehr Ruhe und zu klareren Gedanken zwang, unterdrückte sie dieses Gefühl. Sie hatte hier eine einzigartige Gelegenheit, mehr zu erfahren – eine solche Chance würde sie nie wieder bekommen. Falls es hier noch mehr Geheimnisse gab, würde das vielleicht nie jemand erfahren, wenn sie jetzt nicht dahinterkam. Sie schloß eine Sekunde lang die Augen und holte tief Luft, um ihre Nerven für ihr Vorhaben soweit wie möglich zu beruhigen.
Sie mußte unbedingt noch mehr über den Flügel mit den Arbeitsräumen herausbekommen, aber es schien unmöglich zu sein hineinzukommen. Vielleicht kam sie ihm auf irgendeine andere Art näher – vielleicht von unten? Ein Haus wie dieses hier war doch ganz sicher unterkellert. Die Treppe zu den Kellerräumen hinunter begann wahrscheinlich in der Nähe der Küche. Sie ging bis zum Ende des
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