Stern der Riesen
Teppich fiel. Sverenssen kam gerade aus einem der Nebenräume, als sie sich umdrehte und ihn ansah. Er hatte noch immer seine Badehose an, aber außerdem trug er jetzt Sandalen und ein locker über die Schultern geworfenes Hemd. Er sah sie unsicher an, als sei er etwas mißtrauisch, sich seiner Sache aber selbst noch nicht sicher genug, um direkt zu werden.
»Ich habe mir nur etwas Kaffee geholt«, sagte sie, als sei das nicht sowieso schon offensichtlich. Sofort kam sie sich wie das klassische Dummerchen vor, aber es gelang ihr wenigstens, das dumme Lachen zu unterdrücken, das sie gerade hatte ausstoßen wollen. Sie war sicher, daß Sverenssen über ihre Schulter hinweg auf die Skulptur in der Nische starrte. Vor ihrem geistigen Auge entstand ein Bild, wie mit sechs Zoll großen Neonbuchstaben darüber geschrieben stand: »ICH BIN BEWEGT WORDEN«. Irgendwie schaffte sie es, ihrem Zwang zu widerstehen und sich nicht umzusehen.
»Ich hätte nicht gedacht, daß jemand, der aus Houston kommt, unter der Sonne leidet«, bemerkte er. »Besonders wenn jemand so braun ist wie Sie.« Seine Stimme klang scheinbar beiläufig, aber es schwang noch ein Unterton mit, der eine Erklärung verlangte.
Für eine Sekunde oder zwei hatte sie das Gefühl, jetzt säße sie in der Falle. Dann sagte sie: »Ich wollte nur ein bißchen weg. Ihr Freund... Larry hatte es ein wenig zu eilig. Wahrscheinlich brauche ich etwas Zeit, um mich an alles zu gewöhnen.«
Sverenssen sah sie skeptisch an, als hätte sie gerade eine Befürchtung von ihm bestätigt. »Nun, ich hoffe, es dauert nicht mehr allzu lange, bis Sie etwas lockerer werden«, sagte er. »Ich meine, Sie sind ja schließlich nur deshalb hier, um Spaß zu haben. Es wäre doch eine Schande, wenn eine Person es zuließe, daß sie mit ihren Hemmungen allen anderen die Atmosphäre verdirbt, nicht wahr?«
Lyn konnte trotz ihrer Verwirrung eine gewisse Schärfe in ihrer Stimme nicht unterdrücken. »Hören Sie mal... eigentlich habe ich so etwas nicht erwartet, als ich hergekommen bin«, erwiderte sie. »Davon, daß hier Leute wei-tergereicht werden wie Handtücher, haben Sie nie etwas gesagt.«
Ein degoutierter Ausdruck trat in Sverenssens Gesicht.
»O Gott, ich hoffe doch, Sie wollen mich nicht mit Ihrer Mittelstandsmoral belemmern. Was haben Sie denn erwartet? Ich habe Ihnen gesagt, daß ich ein paar Freunde begrü-
ßen möchte, und ich erwarte, daß sie so unterhalten und willkommen geheißen werden, wie das ihrem Geschmack entspricht.«
» Ihrem Geschmack? Das ist aber wirklich sehr freundlich von Ihnen. Die Leute haben Sie bestimmt sehr gern deshalb. Und was ist mit meinem Geschmack?«
»Wollen Sie damit sagen, daß meine Bekannten Ihren Anforderungen nicht entsprechen? Wie amüsant. Sie haben Ihren Geschmack bereits deutlich zum Ausdruck gebracht
– Sie sehnen sich nach Luxus und der entsprechenden Gesellschaft. Na bitte, das können Sie haben. Sie erwarten doch wohl nicht, daß Sie in diesem Leben irgend etwas umsonst bekommen?«
»Ich habe nicht erwartet, daß man mich wie ein Bonbon behandelt, das den zu schnell gewachsenen Kindern da draußen vor die Nase gehalten wird.«
»Sie reden daher wie eine Halbwüchsige. Habe ich nicht das Recht, von Ihnen als meinem Gast zu erwarten, daß Sie sich als Gegenleistung für meine Gastfreundschaft etwas freundlicher zeigen? Oder dachten Sie, ich sei eine Art Philanthrop, der aus reiner Menschenfreundlichkeit der ganzen Welt Tor und Tür öffnet? Ich darf Ihnen versichern, daß ich das keineswegs bin, genausowenig wie irgend jemand, der intelligent genug ist, um die Realitäten des Lebens zu verstehen.«
»Sie reden hier von Menschenfreundlichkeit. Darum geht es nicht, sondern um den Respekt, dem man jedem Menschen schuldig ist.«
Sverenssen lächelte höhnisch. Er dachte da offensichtlich anders. »Noch ein Betäubungsmittel für Kleinbürger.
Ich kann Ihnen dazu nur sagen, daß die Phantasievorstel-lungen, denen Sie anscheinend nachhängen, jeglicher Grundlage entbehren.« Er seufzte und zuckte die Achseln.
Offensichtlich betrachtete er die ganze Angelegenheit schon als eine verlorene Sache. »Sie haben die Möglichkeit, ein Leben ohne finanzielle und sonstige Sorgen zu genießen, aber wenn Sie das wollen, müssen Sie eine Menge törichter Vorstellungen über Bord werfen, die man Ihnen in Ihrer Kindheit zu Ihrem angeblichen Schutz ein-
getrichtert hat, und statt dessen Ihre Lage realistisch einschätzen.«
Lyns Augen
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