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Stern ohne Himmel

Stern ohne Himmel

Titel: Stern ohne Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Ossowski
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soll. Das ist es doch, was dich an die Front treibt. Ehe alles verloren ist, willst auch du, Antek, beweisen, dass du für dein Vaterland sterben kannst, wenn es sein muss.«
    Antek wollte unterbrechen.
    »Ich mach es dir nicht zum Vorwurf«, fuhr Kimmich fort, »der Wunsch der Verteidigung und des Kampfes ist so alt und so richtig wie die Menschheit selbst. Aber es kommt darauf an, wofür du kämpfst. Für unser Volk gilt es jetzt nicht zu sterben, sondern zu leben. Wenn du glaubst, eine Pflicht erfüllen zu müssen, dann ist es die, jeglichen Kampf für Hitler einzustellen, wenn nicht zu verhindern.«
    Antek hatte sich weit vorgebeugt, als sähe er den Alten zum ersten Mal.
    Kimmich spürte das Wagnis, das er mit seinen Worten eingegangen war. Antek war ein Schüler Jähdes und er war in der Hitlerjugend. Wenn es ihm nicht gelang, Antek die Wahrheit klar vor Augen zu führen, konnte es für Kimmich den Tod bedeuten.
    »Herr Jähde«, fuhr Kimmich fort und ließ Antek nicht aus den Augen, »hat guten Grund, vor dem Zusammenbruch Angst zu haben. Aber du hast ebenso wenig zu fürchten wie ich!«
    Antek wich langsam zurück.
    Kimmich ließ nicht locker. »Es muss für uns alle ein besseres Leben beginnen.«
    Anteks Mundwinkel zogen sich wie im Spott herunter. »Besseres Leben …«, wiederholte er höhnisch mit leiser Stimme.
    »Ja, besser!«, sagte Kimmich scharf. »Sagst du mir einmal, wofür du noch kämpfen willst? Möchtest du Adolf Hitler verteidigen, auf dessen Befehl Millionen von Menschen verhungerten, vergast, vertrieben und zu Tode gequält worden sind? Willst du dafür fallen, dass der Rassen- und Vernichtungswahn in Deutschland fortgesetzt wird?«
    Antek begriff Kimmichs Worte nicht. Millionen von Menschen verhungert und vergast, kreiste es in seinem Kopf. »Nur angenommen«, sagte er, ohne Kimmich eines Blickes zu würdigen, »nur angenommen, Sie sprächen die Wahrheit, dann bliebe uns ja erst recht keine andere Wahl, als bis zum letzten Mann zu kämpfen, um nicht selbst vernichtet zu werden.«
    »Es ist die Wahrheit«, sagte Kimmich, »ich kann dir die Zahl nicht sagen, aber als Beispiel mag es dir genügen: Während meiner Haftzeit waren es etwa achttausend Juden, die vergast wurden, nur weil sie Juden waren. Sonst hatte man ihnen nichts vorzuwerfen.«
    »Juden?«
    »Ja.«
    »Wenn das stimmt«, fuhr Antek mühsam fort, »dann hätte ja Nagold Recht, dann gäbe es nichts mehr, an das man glauben könnte.«
    »Doch, Antek, von neuem anfangen, anders anfangen. Nicht mit Tod und Vernichtung, sondern mit dem Willen zu einer Gemeinschaft unter den Menschen in einer neuen Ordnung. Dafür lohnt es sich, zu kämpfen. Verstehst du das?«
    »Nein«, brüllte Antek und stieß den Stuhl zurück. »Nein, das verstehe ich nicht, denn man kann uns nicht zwölf Jahre lang etwas Falsches erzählt haben!«
    Er rannte an Kimmich vorbei aus der Tür ins Freie.
    Der Waschraum im Alumnat war für die Schüler ein ungestörter Aufenthaltsort. Außer morgens und abends betrat kaum ein Mensch den hohen, gekachelten Raum mit den Milchglasfenstern. Wenn der Wind von Westen kam, mischte sich der fade Geruch von billiger Seife mit den fauligen Ausdünstungen der Abflüsse.
    Während Antek, Paule und Zick auf dem Badewannenrand saßen, hockte Willi abseits am Fenster.
    »Es kotzt mich an, euch hundertmal zu erklären, dass es selbstverständlich ist, einen Juden zu melden.«
    Antek hörte in Gedanken Kimmichs Stimme – ungefähr achttausend Juden hat man allein während meiner Haftzeit vergast. »Das ist deine Ansicht, Willi«, sagte er ruhig. »Uns geht es aber auch an und du musst dir unsere Meinung ebenso anhören.«
    Willi rutschte von seinem Platz am Fenster herunter. »Als wenn es da noch eine andere Meinung geben könnte. Entweder bin ich ein Jude, dann hab ich Pech gehabt. Oder ich bin keiner!« Er hob den Kopf. »Und dann bekämpfe ich diese minderwertige Rasse, bevor ich selbst von ihr geschädigt werde.«
    Willi setzte sich zu den Freunden. Da er weder von Paule noch von Antek eine Bestätigung seiner Auslegung des Judengesetzes bekam, baumelte er verärgert mit den Beinen, bis sein Absatz gegen die Wanne schlug.
    »Sei leise«, brummte Paule.
    »Und was ist deine Meinung?«, fragte Antek.
    »Von mir könnt ihr denken, was ihr wollt, aber den Juden anzeigen bleibt nach wie vor Wahnsinn. Das hieße erstens, nichts mehr zu fressen haben, und zweitens, Gefahr zu laufen, wegen Diebstahls bestraft zu werden.« Er ging

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