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Stern ohne Himmel

Stern ohne Himmel

Titel: Stern ohne Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Ossowski
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aufgeregt vor der Badewanne auf und ab. »Von Paule«, sagte er, »könnt ihr nicht verlangen, dass er solch ein Risiko eingeht.«
    Willi schnaubte verächtlich. Aber Paule nahm sich Willis Geringschätzung wenig zu Herzen. Er tippte ihm leicht auf die Schulter. »Mein Pflichtbewusstsein als Hitlerjunge ist nun mal nicht größer.«
    »Also«, unterbrach Antek den beginnenden Streit, »du willst demnach den Juden nicht anzeigen. Gut, aber was willst du dann mit ihm machen?«
    »Das ist es ja!«, gab Paule in seiner Ratlosigkeit zu. »Wenn wir den Burschen anzeigen, wird er uns aus Rache verpfeifen. Wenn wir ihn nicht anzeigen, machen wir uns strafbar«, er nickte Willi zu. »Und im Übrigen frisst er uns alles auf.«
    Antek bohrte die Hände in die Hosentaschen.
    »Was meinst du«, fragte Paule, vorsichtig seinen Plan verfolgend, und stieß Willi versöhnlich in die Seite. »Wir könnten doch dem Juden zum Beispiel ein paar Würste geben und ihm dann sagen, er soll schnell verduften.«
    Voller Spannung sah Paule in Willis Gesicht, aber sein Vorschlag hatte dessen Trotz nur vermehrt.
    »Bist du wahnsinnig?« Willi konnte das Schreien nur mühsam unterdrücken. »Hast du denn keinen Funken Ehre im Leib?«
    »Für die Russen wollte ich mir diese Eigenschaft jedenfalls nicht aufheben«, erwiderte Paule lässig.
    Willi war aufgesprungen. Paules schmierige und feige Einstellung zu der Sache verletzte ihn. Am liebsten hätte er ihn stehen gelassen, denn nur durch Menschen mit so verdorbenen Gesinnungen, wie Paule sie aufwies, war es möglich geworden, dass der Feind im eigenen Land stand.
    »Zick«, unterbrach Antek, »du bist zwar noch ziemlich klein, aber du warst immerhin dabei. Deine Meinung gilt auch.«
    Zick, der gar nicht damit rechnete, gefragt zu werden, hatte an der Handtuchstange neben der Wanne herumgeturnt. Stolz kam er näher. Er sah Antek an, dann den lauernden Paule und den wütenden Willi. Es wäre ihm angenehmer gewesen, wenn er Anteks Standpunkt schon gewusst hätte. Er spürte zum ersten Mal das Gewicht einer Verantwortung.
    »Na, red schon«, forderte Paule ungeduldig.
    »Fortjagen ist nicht schlecht«, meinte Zick zögernd, doch als er Willis drohenden Blick spürte, fuhr er ängstlich fort, »aber wenn man ihn anzeigt oder zur Polizei bringt, ist das sicher viel richtiger.«
    »Am besten ist, du machst das selbst«, schlug Antek vor.
    Zick starrte ihn entsetzt an. »Ich? Das kann ich nicht!«
    »Und warum nicht, wenn du es für richtiger hältst?«
    Zick wand sich unter Anteks Frage. Der Stolz darüber, dass man auch seine Meinung hören wollte, zerrann. »Weil er mir ja gar nichts getan hat, außer dem bisschen aufgefressener Leberwurst …«
    »Sag’s nur laut und deutlich, Zick«, ermunterte ihn Antek, »ich bin nämlich deiner Ansicht.«
    Willi glaubte nicht recht zu hören. Die gekachelten Wände drehten sich um ihn. Diese Verräter waren seine Freunde. Nicht einer unter ihnen hatte den Mut, einen dreckigen Juden anzuzeigen?
    »Und du willst mir erzählen, dass du zu den Soldaten möchtest«, brach es aus ihm heraus. Er betrachtete Antek voll verächtlichem Staunen. »Ein Feigling bist du, ein ganz armseliger Feigling. Aber ich, ich hab den Schlüssel, und ich …«
    Weiter kam er nicht. Anteks Faustschlag traf ihn ins Gesicht. Er taumelte zurück und wäre gefallen, hätte Antek ihn nicht am Kragen gefasst.
    »Hör zu, Willi, und hör gut zu. Wir sind seit drei Jahren gute Freunde. Du, der Paule, Zick und ich. Wir wollen uns diese Freundschaft nicht durch einen Judenjungen zerstören lassen, der sich zufällig in unserem Keller herumgetrieben hat.« Antek führte Willi am Kragen rückwärts bis zur Badewanne und drückte ihn dort auf den Rand.
    »Ich habe jeden von euch seine Meinung sagen lassen und jede Meinung gilt gleich viel, verstehst du?«
    Er schüttelte Willi, der nur noch mit einem Auge sehen konnte, das andere war durch den Faustschlag zugeschwollen.
    »Aber«, fuhr Antek fort, während sein Griff am Kragen des Freundes immer härter wurde, »keiner von uns ist ein Feigling, wenn er einen Jungen, der genauso alt ist wie wir, nicht gleich auf die Polizei oder zum Blockleiter bringt. Weißt du denn, ob der Jude überhaupt ein Verbrechen begangen hat?«
    »Es geht nicht um ein Verbrechen«, knurrte Willi, »sondern weil er Jude ist.«
    »Dafür soll er sterben?« Antek ließ Willi los.
    »Sterben?«, fragte Paule verblüfft und selbst in Willis geschwollenem Gesicht lag verwundertes

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