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Stern ohne Himmel

Stern ohne Himmel

Titel: Stern ohne Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Ossowski
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öffnete.
    Ratlos blieb er vor dem Haus stehen. Es begann ihn zu kränken, dass Ruth nicht zu Hause war. Der Gedanke, sie könne bei dem Juden sein, ihm Zuspruch leisten oder ihm gar helfen, bohrte in seinem Herzen.
    Wieder und wieder suchte er nach dem Grund für die Arglosigkeit, mit der sie sich am Nachmittag für diesen Fremdling eingesetzt hatte. Als wenn es auf der Welt kein Judengesetz gäbe! Antek kauerte sich auf die Stufen. Seine Finger glitten durch den Kies. Vielleicht war es gar keine Arglosigkeit von ihr gewesen, sondern eine Herausforderung? Vielleicht hatte sie sich bloß hervortun wollen? Zeigen, wie mutig sie war, im Gegensatz zu ihm, der sich scheute, vor Willi und Paule Mitleid zu zeigen? Die Kieselsteine knallten wie Schüsse auf die Stufen. Er warf einen nach dem anderen, als könne er sich damit von etwas befreien, was tief und befremdend in ihm aufbegehrte. Antek schüttelte sich. »Warum darf ich kein Soldat sein?«, schrie es in ihm. Warum durfte er nicht für Ruth kämpfen, für die Flüchtlinge, für das Vaterland? Kämpfen, damit es kein »Nichts« gab, wie Nagold gesagt hatte. Jeden Tag dröhnte es aus dem Radio, dass der Führer jeden Mann, jeden Jungen zum Gelingen des Endsieges brauche. Er aber musste in einem Alumnat eingesperrt sein, Tag für Tag singen und sich auch noch mit einem Juden herumärgern, der wie ein Hund zugelaufen war. Antek glaubte zu ersticken. Er fühlte nur noch einen brennenden Wunsch: fortzulaufen zu den Soldaten, zu kämpfen und – wenn es sein musste – zu sterben. Er sah sich auf dem Schlachtfeld liegen, einen Orden auf dem Uniformrock, ein totes Lächeln im blassen Gesicht. Kameraden beugen sich über ihn und wischen ihm das Blut von der Stirn. Einer öffnet ihm den Uniformrock und nimmt Ruths zerknitterte Fotografie an sich.
    Eine ganze Hand voll Kiesel prasselte auf die Stufen. Antek löschte die Fotografie im Uniformrock aus seiner Phantasie. Es gefiel ihm besser, anonym zu sterben. Als unbekannter Soldat.
    »Antek, bist du es?«
    Plötzlich stand Kimmich da, ohne dass Antek seinen Schritt gehört hatte. Es fiel Antek schwer, seine Gedanken zu ordnen.
    »Kommst du wegen meiner Noten?« Kimmich legte ihm die Hand auf die Schulter. »Einem von uns beiden müssen sie wohl versehentlich zwischen die Mappen gekommen sein.«
    Kimmich nahm ihn mit ins Haus, setzte sich und bat auch den Jungen, Platz zu nehmen.
    »Danke«, stammelte Antek verlegen. Er hatte weder an Kimmich noch an dessen Musik gedacht. Stocksteif saß er auf seinem Stuhl.
    »Ach, weißt du«, sagte er leichthin, »nimm es dir nicht so zu Herzen. Bald ist dieser ganze gespenstische Zauber vorbei.«
    Antek fuhr auf. »Fangen Sie auch schon damit an?«
    Ein Blick voll Trotz und Auflehnung traf den alten Mann.
    »Womit?«, fragte Kimmich verwundert.
    »Damit, dass der Krieg verloren ist und dass alles aus ist. Dass alles keinen Zweck hat, weil es dann kein Vaterland mehr gibt, für das man leben kann.«
    »Wer hat dir das gesagt?«
    »Nagold«, fuhr Antek fort, »und er hat auch gesagt, dass es lächerlich wäre, wenn ich Soldat würde. Für Tote zu singen wäre besser, als für sie zu kämpfen.« Seine Stimme wurde höher und ein Schluchzen saß in seiner Kehle. »Aber ich finde mich damit nicht ab. Ich will Soldat werden, ich will für den Endsieg kämpfen. Genau wie die anderen auch!«
    Antek merkte nicht die Tränen, die ihm über die Wangen liefen.
    »Und zu Ihnen bin ich überhaupt nicht gekommen, ich wollte zu Ruth.«
    »So«, sagte Kimmich, »zu Ruth wolltest du!« Er machte eine Pause, die Antek unendlich schien. »Da habe ich mich eben geirrt.«
    Antek wischte sich mit dem Rockärmel über das Gesicht. Er fühlte sich ausgelaugt. Er brachte nicht einmal ein Wort der Entschuldigung über die Lippen.
    »Du kannst hier warten«, hörte Antek ihn sagen, als wäre nichts geschehen.
    Also wartete er. Die Bauernuhr tickte in die Stille der Kammer, es blieb das einzige Geräusch zwischen ihnen.
    »Du hast mir so viel an den Kopf geworfen«, begann Kimmich endlich, während er Antek immer noch den Rücken zukehrte, »dass ich gar nicht weiß, womit ich zuerst anfangen soll. Wenn ich deinen Besuch auf mich bezogen habe, so musst du es eben entschuldigen.«
    »Das hab ich nicht so gemeint, Herr Kimmich.«
    »Es stimmt ja, dass du nicht zu mir wolltest. Im Übrigen ist das nicht so wichtig.«
    Kimmich drehte sich um. »Wenn Hitler seinen Krieg verloren hat, dann weißt du nicht, wie es weitergehen

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