Stern ohne Himmel
verängstigt. Sie wollten den kürzesten Weg durch die Stadt wählen und sich nicht mit ihren überladenen Wagen durch die engen Nebengassen der Altstadt quälen. Verkehrschaos – sie hatten Schlimmeres hinter sich. Wer nicht durchkam, musste liegen bleiben. Rücksicht gab es nicht. Nur die Zeit zählte.
Antek stand, die Deichsel eines Pferdegespannes dicht vor sich, mit ausgebreiteten Armen auf der Straße.
»Geh weg da!«, schrie ein Bauer, »sonst fahr ich dich um. Wir suchen uns allein unseren Weg!«
Antek griff in die Zügel und wendete das Pferd nach links.
»Wenn ihr aus der Stadt wieder heraus und weiter nach Westen wollt, dann müsst ihr euch links halten!«
Er sah zwischen den beiden Pferden hindurch, wie der Bauer die Peitsche hob. »Das weiß ich besser!«
Jemand riss dem Bauern die Peitsche aus der Hand. »Los, fahrt links! Seht ihr nicht, was da vorn bei der Kirche los ist? Man kommt weder vor noch zurück. Der Junge weiß schon, warum er hier steht und uns einweist!«
Schimpfend fuhr der Bauer links in die Gasse.
Antek wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Führer eines Trecks waren immer am schwierigsten zu dirigieren, die anderen Wagen machten sich selten selbständig, sondern folgten wie Schafe ihrem Leithammel. Antek hatte die Wagen links zu halten, bis sich der Marktplatz einigermaßen leerte, und dann wurde rechts die Gassen entlang gefahren. Wenn dieser Turnus pünktlich eingehalten wurde, gab es innerhalb der Stadt fast kein Gedränge.
Antek sah auf der anderen Seite der Straße in einem Hauseingang Ruth stehen. Sie winkte. Antek drehte ihr den Rücken zu. Nach all dem, was vorgefallen war, hatte er ihr nichts mehr zu sagen. Es hatte damit angefangen, dass sie sich bei dem Juden als die Verständnisvolle aufspielte, während er mit den Kameraden als Bösewicht dastand. Später hatte sie dem Juden heimlich zu helfen versucht. Und schließlich war sie am gestrigen Abend nicht gekommen.
Antek schielte über die Straße. Sie lehnte an der Mauer. Allem Anschein nach wollte sie ihm etwas mitteilen. Ihm war das gleichgültig. Sollte sie stehen, bis sie schwarz wurde.
Antek hob den Arm. Es war Zeit, die Fahrtrichtung zu ändern. Die Wagen fuhren jetzt so, dass Ruth ihn nicht mehr beobachten konnte. Da fiel ihm Willi ein. Was passierte, wenn er sich an Ruth heranmachte? Woher konnte sie wissen, was in der Nacht geschehen war und dass Willi gegenüber Abirams Vorhandensein geleugnet werden musste? Über seinem eigenen Zorn hatte Antek die Drohung vergessen. Er bückte sich, um unter einem Wagen hindurch nach Ruth zu sehen. Seinen Posten durfte er nicht verlassen. Die Leute würden sofort planlos nach links und rechts ausweichen, nur um vorwärts zu kommen.
Blieb nur der Käuzchenruf, den musste sie hören.
Antek nahm die Hände zum Mund. Unsicher sah er sich um, wie er da als Verkehrspolizist, der eben noch den Flüchtlingen energisch den Weg gewiesen hatte, einen lang gezogenen Käuzchenruf nachahmte. Ein Mädchen, das rückwärts auf einem vorbeirollenden Wagen saß, rief Antek zu: »Dir hat wohl der Iwan das Gehirn geklaut, was?«
Antek kam sich entsetzlich albern vor.
Aber Ruth hatte den Käuzchenruf gehört. Und weil gerade ein Stopp in der Wagenschlange eintrat, kroch sie zwischen einem Pferd und einer Wagenachse hindurch.
»Ich muss dir sagen, warum ich gestern nicht kommen konnte«, fing sie ohne Umschweife an und erzählte ihr Erlebnis mit der Frau und dem Säugling.
Antek hörte schweigend zu.
»Siehst du das nicht ein?«, fragte sie ungeduldig.
Antek hob den Arm und zeigte nach rechts. Ruth wurde hin und her gestoßen.
»Mag sein«, antwortete er schließlich, als es ruhiger geworden war. »Aber das ist nicht mehr wichtig. Durch dein eigenmächtiges Handeln hast du es fertig gebracht, dass Abiram wegmusste. Willi hat ihn angezeigt.«
»Nein!« Ruth packte Antek am Arm.
»Mach kein Theater!«
»Wo ist er jetzt, was ist passiert?«
»Durch die Uniformjacke hast du genug angerichtet. Wir werden dir sein Versteck nicht ein zweites Mal verraten.«
»Das kannst du nicht machen«, sagte Ruth leise, »ich hab es doch gut gemeint. Ich konnte ja nicht wissen, dass der Soldat mich im Stich lassen würde.«
»Du hast es ohne mich getan«, sagte Antek noch leiser.
Seine Härte verletzte sie. Sie drehte sich um und ging.
»Bleib hier«, sagte Antek. »Wenn Willi zu dir kommt, geh ihm aus dem Weg, verstehst du?«
»Und du willst, dass ich nichts mehr für Abiram
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