Sternchenhimmel
am nächsten Morgen auf dem Miami International Airport. Sie wartete fast eine Stunde auf ihr Gepäck und fuhr dann mit einem Mietwagen zu dem Restaurant in Raleigh, wo Maury Lykes mitten in einem Haufen Boulevardzeitungen auf einer Sitzbank saß.
»Haben Sie etwas von unserer fahrenden Nymphe gehört?«, fragte er.
»Noch nicht, aber machen Sie sich keine Sorgen.«
»Ich soll mir keine Sorgen machen? Der ist wirklich gut, Janet.« Maury Lykes fuhr sich mit einer warzigen Zunge über die Schneidezähne. »Sie sollte eigentlich langsam anfangen, für die Tournee zu proben – Sie erinnern sich doch noch an die Tournee, oder?«
»Was soll ich denn noch tun?«, fragte Janet Bunterman. »Sie hat ihr Handy in Rainbow Bend gelassen – ich habe keine Möglichkeit, sie zu erreichen.«
Maury Lykes berichtete, er habe Cherrys übliche Anlaufstellen in South Beach überprüfen lassen – das Stefano, den Shore Club, das Setai –, und sie sei nirgends gesehen worden.
Der Kellner brachte Janet Bunterman eine Bloody Mary. »Ich wette, sie ist bei diesem Rotzlöffel aus dem Tarantino-Film«, sagte sie.
»Der Tabletten-Freak. Das hatte ich auch befürchtet.« Maury Lykes flüsterte dem Kellner etwas zu und wandte sich dann wieder an Cherrys Mutter. »Ich stelle Ihnen jetzt jemanden vor, Janet, und ich möchte nicht, dass Sie einen Schreck bekommen. Oder tun Sie wenigstens so, versprechen Sie mir das?«
Bevor Janet Bunterman diese Warnung verarbeiten konnte, kam ein sehr großer Mann auf ihren Tisch zu und setzte sich. Er trug eine grauenvolle lachsrote Perücke, aus der schrumpelige Ohren hervorragten. Sein Gesicht schien mit einer Hochleistungs-Käsereibe massiert und dann mit einer Heißklebepistole retuschiert worden zu sein. Die schmalen, bleichen Lippen sahen aus wie zerknittertes Pergament, und seine starren Augen waren rotgerändert und stumpf. Janet Bunterman senkte nervös den Blick und sah den keulenartigen linken Arm des Mannes vor sich, der vom Ellenbogen abwärts in einem Nylonüberzug mit Reißverschluss steckte. Das Logo COBRA GOLF prangte darauf.
»Janet«, sagte Maury Lykes, »das ist der Bursche, von dem ich Ihnen erzählt habe – Cherrys neuer Bodyguard.«
»Großer Gott.«
»Sein Name ist Chemo.«
»Würden Sie mich einen Moment entschuldigen?« Janet Bunterman erhob sich.
»Setzen Sie sich«, befahl Maury Lykes energisch.
Der Mann namens Chemo blinzelte wie ein träger Leguan.
Nachdem Cherrys Mutter wieder Platz genommen hatte, räusperte sie sich und fragte: »Haben Sie einen Lebenslauf dabei, Mr. Chemo?«
Der Angesprochene sah Maury Lykes an. »Meint die das ernst? Meine Fresse.«
»Janet, verzweifelte Situationen und so weiter«, sagte der Promoter. »Betrachten Sie’s von der positiven Seite – ausnahmsweise wird Cherry mal nicht ihren Angestellten bumsen.« Er bedachte Chemo mit einem Achselzucken und fügte hinzu: »Nichts für ungut, Kumpel.«
Chemo lächelte, ein neues Grauen. Seine fleckigen Zähne waren winzig und abgenutzt; es sah aus, als wären ihm alte Reiskörner ins Zahnfleisch implantiert worden.
Janet Bunterman wurde kreidebleich. »Maury, kann ich Sie bitte kurz unter vier Augen sprechen?«
»Nein.«
»Kann ich dann noch etwas zu trinken bekommen?«
»Für mich einen kubanischen Kaffee«, sagte Chemo. Er steckte die Finger in sein Wasserglas, fischte die Zitronenschale heraus und zerkaute sie zu Brei.
»Wie groß sind Sie?«, fragte Cherrys Mutter. Sie wusste nicht, wie sie das Gespräch in Gang bringen sollte.
»Zwei Meter sechs. Und fragen Sie ja nicht, ob ich mal Basketball gespielt habe.«
»Okay.«
»Das ist, als ob man einen Kleinwüchsigen fragt, wieso er nicht beim Zirkus ist.«
»Immer schön locker bleiben«, ging Maury Lykes dazwischen. »Sie will doch bloß was über Ihre Vorgeschichte wissen.«
»Sie haben es ihr nicht gesagt?« Chemo gluckste in sich hinein.
Janet Bunterman schaute sich beklommen nach dem Kellner um.
»Chemo war ein höchstungewöhnlicher Hypothekenmakler«, erklärte Maury Lykes.
Es war schwer vorstellbar, aber wahr. Nach sechzehn Jahren und neun Monaten in der Strafvollzugsanstalt von Raiford war Chemo aus dem Hochsicherheitstrakt direkt in einen Job als Hypothekenverkäufer in Orlando gewechselt. Weil der Immobilienboom gerade seinen Höhepunkt erreicht hatte und unsichere Kredite im Überfluss vorhanden waren, übersah der Staat Florida großherzig sämtliche behördlichen Beschränkungen und hieß jeden, aber auch jeden
Weitere Kostenlose Bücher