Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
brauchen Tische, Stühle, eine Theke, Geschirr und natürlich einen Grundstock an Rum. Ich schlage vor, dass ich mich um die Ausstattung kümmere, während du zusiehst, dass deine Manufaktur wieder ausreichend Rum produziert. Die Mittel, die du dafür brauchst, kann ich vorerst zur Verfügung stellen. Was meinst du, Hermann, ist das in deinem Sinne?«
Hermann nickte. Sein Gesicht zeigte einen zufriedenen Ausdruck. Oder beinahe, denn etwas Wichtiges fehlte ihm noch zum Glück, zum Mut, den er brauchte, um seine Zukunft wieder in die eigenen Hände nehmen zu können.
»Ich muss Mafalda finden«, erklärte er. »Das hat Vorrang vor allem. Erst, wenn sie da ist, kann ich arbeiten. Ich brauche ihre Hilfe beim Rum, vor allem aber brauche ich ihre Hilfe beim Leben.« Er senkte den Blick, denn es war ihm sichtlich peinlich, so offen über seine Gefühle zu sprechen. »Ich habe schon alles versucht, habe überall nachfragen lassen. Dolores hat sich auf dem Markt erkundigt, aber niemand weiß etwas von Mafalda.« Er blickte auf, hielt die rechte Hand so fest mit der linken umklammert, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten.
Groth streckte seine langen Beine aus. »Dann gib doch eine Anzeige auf.«
»Eine Anzeige?«
»Natürlich. Eine Zeitungsanzeige. Lass in die Zeitungen hineinschreiben, dass du sie suchst. Und am besten nimmst du dafür Zeitungen, die im ganzen Land gelesen werden. Wenn du willst, kannst du dabei sogar drei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Such nach Mafalda, nach Titine und nach Fela.« Groth machte eine kleine nachdenkliche Pause, ehe er weitersprach: »Wenn mich nicht meine ganze Menschenkenntnis täuscht, dann verspreche ich dir, dass du damit Erfolg haben wirst. Denn selbst wenn Titine, Mafalda und Fela die Zeitung nicht lesen, so kennen sie sicher Leute, die die Anzeige gesehen haben. Und außerdem unterstreichst du mit so einer Aktion die Ernsthaftigkeit deines Tuns.«
Vierundzwanzigstes Kapitel
M afalda erwartete mit großer Bange Titines Rückkehr von ihrer Pilgertour zum heiligen Lazarus. Eigentlich hatte Grazia mit Aurelio dorthin fahren und Titine gleich an der Kirche in Empfang nehmen wollen, doch Titine hatte eine Nachricht an Grazia geschickt. Sie wolle nicht, schrieb sie, dass Aurelio seine Mutter mit zerschundenen Gliedern sah. Sie wolle lieber noch ein paar Tage in einer einfachen Herberge bleiben, um die Pilgerreise zu verarbeiten und sich zu erholen.
Grazia hatte selbstverständlich diesen Wunsch akzeptiert, doch nun war es an der Zeit, dass Titine nach Hause kommen sollte. Cesare holte sie auf einem Eselskarren ab. Seit zwei Stunden schon war er unterwegs, und Mafaldas Sorge wurde von Minute zu Minute größer.
»Sie wird mich nicht hier haben wollen«, vermutete sie. »Vor allem nicht nach dem, was sie gerade durchgemacht hat.«
»Unfug.« Grazia winkte ab. »Sie hat sich verändert. Jeden verändert das Pilgern zum heiligen Lazarus. Du wirst sehen, alles wird gut.«
Mafalda lächelte, doch sie war ganz und gar nicht von Grazias Worten überzeugt. Die alte Kreolin hatte sie so freundlich und herzlich aufgenommen, dass Mafaldas Seele sich wie gestreichelt gefühlt hatte. Gleich am ersten Abend hatte sie erzählt, was ihr widerfahren war. Aber kein Vorwurf war über Grazias Lippen gekommen, im Gegenteil. Sie hatte Mafalda weinen lassen, hatte sie beruhigt und getröstet und anschließend ein Santeria-Ritual abgehalten, das Mafaldas Schuldgefühle mildern sollte. Anschließend hatte sie ihr ein Bad mit reinigenden Kräutern bereitet, damit Mafalda sich nicht länger beschmutzt fühlen sollte.
Mafalda kannte die Macht der Santerias. Sie hatte ein wenig Angst gehabt vor dem, was Grazia vorhatte. Doch später, als die alte Frau schließlich gemeinsam mit ihr eine Stoffpuppe nähte, hatte sie sich sicher gefühlt.
»Hasst du ihn?«, hatte Grazia gefragt.
Mafalda hatte genickt. »Natürlich. Der Amerikaner hat mein Leben zerstört. Er hat mir die Tugend geraubt, die Würde und den Stolz.« In dem Augenblick, als sie diese Worte aussprach, musste sie an Fela denken. Das hatte sie seit ewiger Zeit nicht mehr getan, doch nun stand ihr der Sklave so deutlich vor Augen, als stünde er auch in Wirklichkeit dort.
»Vielleicht wirkt die Magie nicht«, hatte sie zaghaft geantwortet. »Schließlich habe auch ich mitgeholfen, einem Mann den Stolz und die Würde zu nehmen.«
Aber Grazia hatte den Kopf geschüttelt. »Du vergleichst Äpfel mit Birnen, mein Kind. Wenn die Zeit reif ist,
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