Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
Schlacht, die er nicht gewonnen hatte. Seine Schultern bebten, und er murmelte unablässig vor sich hin. Hermann näherte sich ihm und hörte, dass es das Vaterunser war, das Don Ramos betete. Am Rande des Platzes hatten sich die schwarzen Haussklavinnen eingefunden. Sie standen nebeneinander, schwankten und wankten in eine Richtung, hielten einander, während sie heulten und schrien.
Plötzlich sprang Don Ramos auf die Beine, fuchtelte wild mit den Armen umher. Sein Gesicht war tiefrot. »Ich habe das alles nicht gewollt«, schrie er. »Bei Gott, das habe ich nicht gewollt.« Dann hielt er inne und suchte den Blick des alten, weinenden Sklaven. Der sah Don Ramos an, hob eine Hand, deutete damit auf ihn. »Verflucht seist du. Deine Familie und du, ihr sollt leiden wie wir. Noch bevor der Mond wieder als Scheibe am Himmel steht, soll dich ein Fieber hinweggerafft haben. Und so wie dir soll es jedem Weißen ergehen, der uns zu nahe kommt.«
Die wie Binsen schwankenden schwarzen Frauen verharrten, als der Alte seinen Fluch aussprach. Dann wiegten sie sich erneut in einem anderen Rhythmus und sangen dabei:
»Der Sklave ist unfrei,
wenn er vergisst,
wo er herkommt.
Wir haben die Geister Afrikas,
wir haben die Ahnen
und wir haben unsere Bräuche.
Mit diesen werden wir hier
wie dort
tun, was wir tun müssen.«
Sie wiederholten diese Zeilen wieder und wieder. Die letzten Weißen ergriffen die Flucht. Die Kreolinnen griffen sich an den Hals und rannten davon. Jemand rief im Weglaufen nach der Polizei, eine andere nach den Soldaten.
Dr. Winkler aber begab sich zu der schreienden jungen Schwarzen und verabreichte ihr einen Trank.
»Nie wieder werde ich diesen Arzt in mein Haus lassen«, ätzte eine weiße Spanierin, die sich hinter einem Eisenzaun in Sicherheit gebracht hatte. »Wer sich mit den Niggern gemeinmacht, der soll gleich bei denen bleiben.«
Ihre Nachbarin nickte vom Balkon ihres Hauses herunter, während die schwarzen Frauen weitersangen, ihre Stimmen in immer größere Höhen schrillen ließen, und die anderen mit tiefen, dunklen Stimmen drohten.
Hermann schwirrte der Kopf. Nackte Angst hockte in seinen Gliedern, und mit einem Mal begriff er, dass er bisher nichts zu leiden hatte. Jetzt aber würde sich alles ändern. Sein Leben, das Leben auf dem Ingenio, in dieser Stadt und im ganzen Land. Es würde ein weniger behagliches Leben werden, voller Verdruss und Leid. Doch statt dass ihm diese Erkenntnis die letzten Sinne raubte, seine Knie noch weicher werden ließ, lebte er auf. Seine Schultern strafften sich, sein Blick wurde klar, und er fühlte eine Kraft durch seine Glieder rinnen, die er seit Jahren schon vermisst hatte. Sollte es schlimmer und schlechter werden, er, Don Hermann Pescador, war gewappnet, bereit zum Kampf, ohne genau zu wissen, wofür oder wogegen er kämpfte.
Siebtes Kapitel
T itine blieb im Bett liegen, bis die langsam sinkende Sonne die nahen Hügel der Sierra del Escambray mit einem orangeroten Strahlenkranz versah und die von den Feldern heimkehrenden Eselskarren über den Wirtschaftshof rumpelten. Sie lauschte einen Augenblick auf das Seufzen und Schlurfen der Sklaven, dann stand sie auf, wusch sich, bürstete das Haar mit einhundert Strichen, wie ihre Mutter es früher bei ihr getan hatte, und schlüpfte in ein weißes Kleid, das ihre Hellhäutigkeit noch unterstrich. Sie sah aus wie ein Kind in diesem Kleid, so rein und unschuldig, engelsgleich, dass es niemand wagen würde, ihr einen Fluch, eine obszöne Geste oder auch nur einen grimmigen Blick in das fast schon heilige Gesicht zu schleudern. Titine wusste, dass sie in diesem Kleid unberührbar war, unantastbar.
Sie schob die weißen Alabasterschuhe, die sie gewöhnlich zu diesem Kleid trug, unter ihr Bett und beschloss, barfuß nach draußen zu gehen.
Sie öffnete ihre Tür, lauschte auf die Geräusche im Haus, hörte die Stimmen von Mafalda und Hermann im Patio, aus der Küche das Klappern der Töpfe und schlich auf Zehenspitzen zum hinteren Ausgang. Dort wartete sie geduldig auf den nächsten Eselskarren und lief in seinem Schutz zum Sklavendorf hinüber. An der Grenze, die mit festem Draht und baumdicken Bohlen die Sklaven von den Herren trennte, blieb sie stehen.
Sie hielt den Blick gesenkt, doch die Sklaven zogen vor ihr ehrfürchtig die Kappen, berührten mit spitzen Fingern die Kette aus Holzperlen, die Titine am Arm trug und die als Zeichen der Zugehörigkeit zum Glauben an die Orishas angesehen wurde. Und so, wie
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