Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
Hochzeit?« Dr. Winkler blickte ungläubig drein. »Was denn dann?«
»Zuerst muss ich herausfinden, wer der Vater ist. Im schlimmsten Falle gibt es eine Abtreibung.« Hermann sah seinem Freund fest in die Augen. »Ich zähle dabei unbedingt auf deine Unterstützung.«
»Titine will das Kind nicht?«
»Doch, sie wird es sicher wollen. Ich habe noch nicht mit ihr darüber gesprochen. Aber sie wird es nicht bekommen, wenn derjenige der Vater ist, den ich vermute. In diesen Zeiten ist es nicht ratsam, einen Mischlingsbastard zur Welt zu bringen.«
»Einen was?« Dr. Winkler riss die Augen auf. »Sie bekommt ein Kind von einem Sklaven?«
Hermann nickte und spielte dabei mit seinem Whiskeyglas. »Ich befürchte, ja.«
»Ist sie … ich meine … hat ihr jemand Gewalt angetan?«
Hermann schüttelte den Kopf und trank sein Glas in einem Zuge leer. »Nein. Und wenn du ihr Glauben schenken willst, dann wird sie dir am Ende gar etwas von der Liebe erzählen. Das ist nur ein vager Verdacht. Im Grunde hoffe ich noch immer, dass sie sich heimlich in einen weißen Mann verliebt hat.« Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, dass die Gläser hüpften. »Herrgott noch mal, mir wäre es sogar lieber, sie bekäme ein Kind von einem weißen, verheirateten Mann. Aber die Weiber denken mit dem Schoß, verdammt. Sie vergessen alles, wenn sie sich einbilden, zu lieben.«
»Grundgütiger Gott!« Auch Dr. Winkler stürzte jetzt seinen Whiskey in einem Zuge herunter. »Und was wirst du tun, wenn Titine nicht abtreiben will?«
»Was schon?« Hermann zuckte mit den Schultern. »Ich werde sie dazu zwingen.«
Der Lärm von draußen war noch lauter geworden. Ein Heulen und Jammern erfüllte die Luft, dazwischen gab es entsetzliche Schreie und hasserfülltes Fluchen.
Dr. Winkler drückte seine Zigarre im Aschenbecher aus. »Ich werde mal nachsehen, was es da draußen jetzt noch gibt. Gut möglich, dass jemand einen Arzt braucht.«
Hermann erhob sich ebenfalls. Er hatte zwei Gläser Whiskey auf nüchternen Magen getrunken und fühlte sich ein wenig schwach. Ihm schien, als dauerte es eine Ewigkeit, bis der Befehl zum Laufen, den sein Gehirn gab, endlich die Beine und Füße erreichte, die sich langsam und schwankend in Bewegung setzten.
Draußen, im grellen Sonnenlicht, wurde ihm ein wenig schwindelig. Der Lärm drang plötzlich nur noch gedämpft an sein Ohr. Er schloss die Augen und fühlte sich wie im Meer, von grollenden, donnernden Wellen umspült, deren Kraft und Gewalt ihm jederzeit die Füße wegreißen konnte. Er nahm sich zusammen, öffnete die Augen, schüttelte sich, als könnte er so die leichte Trunkenheit abschütteln, und eilte Dr. Winkler hinterher auf die Plaza Mayor.
Was er dort sah, ließ ihn erbleichen. Vor Entsetzen riss er die Augen auf und musste sich an eine Hauswand lehnen, um nicht den Verstand zu verlieren.
Die Plaza hatte sich in eine Hölle verwandelt.
Eine rasende Horde von Sklaven, Tagelöhnern, einfachen Bauern, Dirnen, Dieben, Schlägern und Wüstlingen hatte sich mit Beilen, Macheten, Hämmern und Knüppeln ausgerüstet. Mit fanatischer Wut warfen sie sich auf die wenigen Weißen, die noch auf dem Platz waren. Sie jagten die kreischenden Frauen, hetzten die Kinder, schlugen die Männer und Greise.
In der Mitte hing der Sklave tot an einem Baum, doch noch immer tropfte Blut aus seinem zerschlagenen Körper. Die Augen waren ihm aus den Höhlen getreten, die rosa Zunge hing als Fleischklumpen aus seinem Hals. Sein Bauch war von der Kehle bis zur Leibesmitte aufgerissen, und die Gedärme hingen heraus. Ein Vogel machte sich daran zu schaffen. Der Sklave hatte im Todeskampf seinen Darm entleert, wie eine schlammige Pfütze unter ihm bezeugte. Der Gestank, der von dort aufstieg, legte sich wie ein mahnender Nebel über den gesamten Platz. Zu seinen Füßen kauerte eine junge Sklavin, die wie eine Furie heulte, sich auf die Brust trommelte und an ihren Haaren riss. Zwei ältere Sklavinnen versuchten, sie von dort wegzuziehen, doch die Junge heulte lauter als ein Höllenhund, so dass Hermann kalte Schauer des Entsetzens über den Rücken liefen. Etwas weiter weg stand ein älterer Sklave mit grauem, zerrupftem Haar, der herzzerreißend heulte und die Arme flehend zum Himmel ausgestreckt hatte. Unweit von ihm saß Don Ramos mitten auf der Plaza, die stämmigen Beine weit von sich gestreckt, die Arme schlaff neben dem Körper und den Kopf auf die Brust gesenkt, als käme er gerade aus einer
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