Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
Lagerhalle. Fela verbrachte die Nacht auf dem staubigen, harten Boden, zerschlagen, mutlos und rasend vor Sehnsucht nach den Seinen und vor Wut auf die portugiesischen Sklavenhändler und doch vergeblich auf den Schlaf wartend. Am nächsten Morgen band man ihm und den anderen Sklaven mit Kälberstricken die Hände auf dem Rücken. Sie wurden in die Stadt auf einen weiten Platz geführt und gezwungen, auf ein Podium zu steigen. Vor dem Podium hatten sich vielleicht fünf Dutzend weiße Männer und Kreolen eingefunden, die nur darauf brannten, ihnen die Münder aufzureißen, die Muskeln zu befühlen, sie Kniebeugen machen zu lassen, um dann zu entscheiden, dass sie nichts wert waren.
Ruhig stand Fela in der Reihe und machte keine Anstalten, den Brustkorb aufzublähen, wie es einige vor ihm taten, oder sich klein und schmächtig zu geben, wie einige andere es versuchten. Er stand da, war unfähig, etwas zu denken, denn sein verletzter Stolz brannte alle Gedanken weg. Er hätte am liebsten um sich geschlagen, auf alles und auf jeden. Er hätte gern geschossen. Ganz gleich, ob mit Pfeil und Bogen oder mit einem Gewehr, er hätte gern geschrien, sein Leid, seinen Schmerz, seine Wut hinausgebrüllt, doch er konnte nicht einmal weinen.
Schließlich gab ihm jemand einen Stoß und er wurde auf ein Podest geschubst. Eine grelle, gnadenlose Sonne schien ihm direkt in die Augen, so dass er beinahe blind war. Er hörte die Stimmen der Männer, die ihn beglotzten, als wäre er ein Stück Vieh. Aber war er das nicht auch? Ein Stück Vieh? Gemacht zum Arbeiten und zu nichts anderem? Er fragte sich, ob er in seine Heimat zurückkönnte, wenn er eines Tages zu alt für die Weißen war. Doch nie war einer, der als Sklave fortgegangen war, zurückgekehrt.
»Mach das Maul auf!«, schrie der Auktionator und stieß ihn so grob in die Seite, dass er taumelte.
Gehorsam tat Fela, was der Mann ihm geboten hatte. Doch der weiße Mann, der vor ihm stand, befingerte ihn nicht. Ruhig, freundlich gar, stand er vor ihm. »Du kannst den Mund zumachen«, sagte er. »Wie heißt du?«
Seit Fela aus seiner Heimat weg war, hatte ihn niemand mehr nach seinem Namen gefragt. Er war der Nigger gewesen, nichts sonst.
»Fela«, sagte er leise. »Fela vom Stamme der Yoruba.«
»Ich nehme dich mit, Fela«, erwiderte der Mann. »Hast du noch Geschwister hier? Eine Frau?«
Fela schüttelte den Kopf. Die Sklavenjäger hatten ihn erwischt, als er allein auf der Suche nach einer Wasserstelle für seine Tiere war.
»Ich habe niemanden«, erwiderte er.
Der Mann nickte. »Geh nach unten. Warte dort unter den Bäumen auf mich. Hast du Hunger und Durst?«
»Ja, Don.«
»Ich werde noch einige Sklaven kaufen, dann bringt euch jemand Wasser und etwas zum Essen. Es wird nicht lange dauern.«
Der Mann nickte ihm zu, und Stunden später war er, gesättigt und nicht mehr durstig, auf dem Wege nach Trinidad. Der weiße Mann, sein neuer Herr, hieß Don Hermann. So viel hatte Fela erfahren, und auch, dass er auf einen großen Ingenio kommen würde. Ihm war es recht, obwohl die anderen Sklaven darüber stöhnten. Sie waren zwar noch nicht lange auf der Insel, doch sie wussten schon, dass die Arbeit auf den Zuckerrohrfeldern hart und unbarmherzig war.
Nach einem tagelangen Marsch hatte er am Straßenrand plötzlich ein Mädchen gesehen. Ein Mädchen, so schön und zart, so engelsgleich und weiß, beinahe durchsichtig, dass auf der Stelle der Wunsch in ihm erwachte, ebendieses Mädchen zu schützen. Sie war heilig. Das wusste Fela. Niemand hatte ihm erzählen müssen, dass sie als Tochter der Orisha Yewa galt. Er hatte es gesehen. An ihrem Haar, über dem ein Strahlenkranz leuchtete, an ihren Augen, die so sanft und verstehend blickten, an ihrem Mund, der so prall und rot war und dabei so lieblich, dass er glaubte, niemals ein böses Wort daraus zu hören.
Wie froh war er gewesen, als er erfuhr, wer Titine war. Ich kann sie sehen, hatte er erfreut gedacht. Jeden Tag. Immer, wenn die Sehnsucht und das Heimweh gar zu schlimm werden, dann kann ich sie sehen. Sie wird mich trösten mit diesen verständnisvollen Augen, sie wird mich streicheln mit den liebevollen Tönen ihres Mundes.
Heilig. Ja, das war sie für Fela gewesen. Unberührbar, anbetungswürdig.
Und dann hatte sie ihn angesprochen. An dem Abend, als er ihr einen Papagei zum Geschenk gemacht hatte. Und ihre Stimme war so liebevoll und tröstlich gewesen, wie er es sich vorgestellt hatte. Und dann der Duft ihrer
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