Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sterne der Karibik: Roman (German Edition)

Sterne der Karibik: Roman (German Edition)

Titel: Sterne der Karibik: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrice Fabregas
Vom Netzwerk:
doch war sie keine unzufriedene Frau. Ihr Lachen hallte durch die hohen Räume des Herrenhauses, ihre Herzlichkeit ließ die Kinder der schwarzen Bediensteten stets wie Mäuse um ihre Füße huschen, und nicht einmal an Verehrern mangelte es ihr. Der Sohn des Bürgermeisters, etliche Jahre jünger als sie, verfolgte sie mit glühenden Blicken, wann immer er sie in der Stadt traf.
    Doch die Sorge um den Ingenio trübte ihre gute Laune. Was sollten sie tun, wenn niemand mehr ihren Zucker haben wollte? Wovon sollten sie leben, wovon die Angestellten bezahlen? Sollten sie tatsächlich mit den Amerikanern Geschäfte machen?
    Zwar hatte Fela die Rinderherde vergrößert, so dass niemand würde Hunger leiden müssen, doch das war es nicht, das Mafalda schlaflose Nächte bereitete. Sie hatte kein Kind und würde wohl auch keines mehr bekommen. Sie brauchte eine Herausforderung, eine Aufgabe. Erst recht, seit der kleine Richard nicht mehr bei ihnen war.
    Kurz nach der Rebellion, als sie zurück nach Hause gekommen war, hatte Hermann beschlossen, das Kind in eine deutsche Missionsschule zu geben.
    »Ich kann ihn nicht mehr ertragen«, hatte er gesagt. »Er bringt die schlechtesten Seiten in mir zum Vorschein. Wenn ich ihn sehe, dann sehe ich seine Mutter.«
    »Aber er ist doch noch ein Kind«, hatte Mafalda eingeworfen.
    »Ein Kind, ja. Aber er ist nicht unser Kind, sondern das Kind einer Frau, für die ich mein Leben lang nur Verachtung übrighatte. Mag sein, dass ich ungerecht bin, aber dieses Kind ist mir zuwider. Ich bringe es fort.«
    Und er hatte es getan, hatte den kleinen Jungen, der mittlerweile zu einem Mann herangereift sein musste, bei den Nonnen abgegeben. Der Junge hatte geschrien, er hatte gestrampelt, sich gewehrt. Tränenüberströmt hatte Mafalda zugesehen, wie Hermann den Jungen auf sein Pferd warf, aber sie hatte nicht eingegriffen, sondern das Kind seinem Schicksal überlassen. Manchmal, sehr selten nur, dachte sie an Richard, und dann fragte sie sich, ob es nicht doch ein Fehler war, ein so kleines Kind einfach wegzugeben. Vielleicht hätte er sich im Laufe der Jahre verändert. Vielleicht wäre aus ihm doch noch ein anständiger junger Mann mit Zielen und Ehrgeiz geworden. Aber meist verdrängte sie jeden Gedanken an das Kind.
    Und als im Zuge des Krieges die Nonnen ihre Schule geschlossen hatten und nach Deutschland zurückgekehrt waren, da hatten weder Mafalda noch Hermann gefragt, was aus Richard geworden war, sondern hatten jeden Gedanken an ihn beiseitegeschoben. Es mochte Schuld sein, denn Hermann zumindest fühlte sich schuldig dem Knaben gegenüber. Ein Kind, das Hilfe brauchte, musste Hilfe bekommen. So war er erzogen worden. Jederzeit würde er ein Kind aufnehmen und als seines großziehen, aber nicht Richard. Von allen Kindern dieser Welt konnte er allein Richard nicht ausstehen. Trotzdem hoffte er, dass er ein gutes Leben hatte. Und er hatte andere Sorgen. Die Zuckerproduktion, der Absatzmarkt, der so stark eingebrochen war.
    »Was sollen wir tun?«, fragte Mafalda ihren Mann.
    Hermann, noch immer stattlich und eher hager, hatte graue Schläfen bekommen, doch seit den Unruhen vor zwölf Jahren war er anders geworden. Ruhiger, gelassener. So wie jemand, der das Schlimmste in seinem Leben erlebt und es überlebt hatte. Das war natürlich übertrieben, doch Hermann hatte seither das Gefühl, dass es kein Problem der Welt gab, das sich nicht lösen ließ. Und diese Haltung vermittelte er auch seinen schwarzen Arbeitern, seinen Angestellten, seiner Schwester und seiner Frau. Nur Fela war ihm ein Ärgernis. Nein, kein Ärgernis, sondern etwas Unbestimmbares, etwas Bedrohliches, doch die Bedrohung war nicht auszumachen. Sie war unterschwellig da, wurde nur sichtbar, wenn Hermann ihn nach seinen Ideen für den Ingenio fragte, was er früher oft getan, nun aber seit Jahren schon unterlassen hatte. Fela nämlich hatte sich ebenfalls verändert. Er war frei, lebte mit der Frau, die er liebte, ging einer Arbeit nach, die er mochte und für die er begabt war, dennoch schien ihm irgendetwas zu fehlen. Er gehörte weder zum Herrenhaus noch zum Hüttendorf. Er stand dazwischen, hatte nirgendwo Freunde und nirgendwo Feinde. Er war allein, er war einsam, und das war es gewiss nicht, was er sich gewünscht hatte.
    Fela hatte begriffen, dass nicht die Freiheit die Menschen gleich machte, sondern dass es noch mehr Voraussetzungen gab. Die Weißen und die Kreolen konnten lesen und schreiben. Die Schwarzen nicht.

Weitere Kostenlose Bücher