Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
der Insel war das meiste beim Alten geblieben.
Zehn Jahre hatte der Krieg angedauert, hatte zweihunderttausend Kubanern und achtzigtausend Spaniern den Tod gebracht. Auch Herrero, der Schmied, war tot, und mit ihm ungefähr ein Viertel der ehemaligen Sklaven von Don Hermann. Der Rest war eines Tages zurückgekehrt und hatte seine Arbeit wieder aufgenommen. Hermann hatte jeden Einzelnen in die Freiheit entlassen und angestellt, doch er hatte nicht das Gefühl, dass die Schwarzen nun glücklicher waren. Er hatte den Eindruck, dass die meisten von ihnen resigniert hatten. Aber warum? Was hatten sie gewollt? War die Freiheit ein Gut gewesen, das zu groß war für eine Sklavenseele?
Er wusste es nicht, doch er wusste, dass in ihnen noch immer ein Feuer aus Wut und Hass brannte und dass der kleinste Funke genügte, es wieder zu entfachen.
Noch immer war Kuba spanische Kolonie, doch seinen Reichtum hatte es in den Kriegsjahren eingebüßt. Zahlreiche Ingenios, insbesondere im Osten, lagen brach. Die schlimmste Wirtschaftskrise seit mehr als einem Jahrhundert brachte überall Not und Elend.
Die Zuckerpreise waren in den Keller gefallen. Schuld daran war ein neues Verfahren in Europa zur Zuckerherstellung, der nun aus Rüben gewonnen wurde. Die Zuckerbarone waren gezwungen, ihr Land zu verkaufen, und die Amerikaner standen – schlau und geldsatt – bereit, die brachliegenden Ländereien zu übernehmen. In der Zeitung hatte sogar kürzlich ein Artikel gestanden, der für Unruhe sorgte: »Schon 1850 beherrschten die Vereinigten Staaten von Amerika ein Drittel des kubanischen Handels und verkauften und kauften dort mehr als Spanien. Das Sternenbanner wehte auf den Masten von mehr als der Hälfte der Schiffe, die in Havanna und den anderen Häfen anlegten. Ein spanischer Reisender fand 1859 tief im Innern in weitab gelegenen kleinen Dörfern von Kuba Nähmaschinen nordamerikanischer Herkunft. Dies berichtete Eduardo Galeano. Die spanische Regierung versucht nach wie vor, die Interessen der Produzenten im Mutterland mit einer rigiden Zollpolitik zu schützen, doch trägt sie hiermit nur zur Entfernung zwischen Kolonie und Metropole bei.«
Auch Hermann Pescador blieb auf seiner ohnehin spärlichen Ernte sitzen. Die Zuckermühle arbeitete längst nicht mehr rund um die Uhr, und im Siedehaus kühlten die Kessel ab, während die Schwarzen auf den Stapeln der leeren Sisalsäcke saßen und zusammengerollte Tabakblätter rauchten.
Während Hermann darüber grübelte, wie er seinen Ingenio wieder hochbringen und seinen Reichtum, der noch immer beachtlich war, vermehren konnte, war Titine ein zweites Mal schwanger.
Sie hatte vor knapp zwölf Jahren in Havanna einem kleinen Mädchen das Leben geschenkt, doch Mafalda hatte ihr am Tag nach der Niederkunft, die sie, in einen Laudanum-Nebel gehüllt, kaum mitbekommen hatte, unter Tränen berichtet, dass ihr kleines Mädchen während der Geburt gestorben war. Die Nabelschnur hatte es um den Hals getragen und war daran erstickt. So etwas kam vor, Titine hatte schon des Öfteren davon gehört. Sie hatte das kleine Mädchen nie zu Gesicht bekommen, sie hatte ihre Tochter weder begrüßen noch verabschieden können, und seither lag ein Schatten auf ihrer Seele.
Als sie nach gut einem Jahr zurück nach Trinidad gekommen war, war Fela da gewesen, als wäre er nie fortgegangen. Er war ihr Trost und Stütze, vor allem, weil sie beide jetzt gemeinsam das Verwalterhaus bewohnten und Fela auf der Pflanzung verantwortlich für die Tiere war. Es hatte ihn alles an Stolz und Würde gekostet, von Hermann seine Freilassungsurkunde entgegennehmen zu müssen. Fela war sich nicht sicher gewesen, ob Hermann ihn wieder auf seinem Ingenio anstellen würde. Er hätte gut verstanden, wenn der Don ihn wie einen räudigen Hund weggejagt hätte. Er hätte es nicht nur verstanden, er hätte damit leben können. Aber Hermann hatte ihn lächelnd empfangen, hatte, als wäre es das Normalste der Welt, die Urkunde aus dem Schreibtisch gezogen und ihm in die Hand gedrückt. Dann war er einfach hinter seinem Tisch stehen geblieben und hatte Fela angesehen. Nicht unfreundlich, nein, sogar mit einem leisen Lächeln im Gesicht, das Fela tiefer und härter traf, als es Worte und Schläge jemals vermocht hätten. Und Fela hatte sich nicht bedanken können. Niemals. Weil er nämlich nichts zu danken hatte. Und doch wollte er etwas, er stand vor Hermann wie ein Bettler, und er sah an Hermanns Blick, dass dieser das wusste.
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