Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
Zumindest nicht viele. Nur einige wenige. Und Fela gehörte zu ihnen und hatte erfahren, dass die, die das Wissen hatten, auch die Macht hatten. Er wünschte sich Schulen für die schwarzen Kinder, aber er wusste auch, dass er sie selbst bauen musste. Er wünschte sich, dass diejenigen, die lesen und schreiben konnten, es den anderen beibrachten, aber das taten sie nicht, sondern sie hüteten ihr Wissen wie einen großen Schatz. Es gab Uneinigkeit im Hüttendorf. Die Frauen gönnten einander nicht das kleinste bisschen Schweineschmalz, das schmalste Haarband. Und die Männer, früher befreundet, beäugten sich nun misstrauisch. Die Freiheit hatte Feinde gebracht, und Fela hatte sehr lange gebraucht, um zu begreifen, warum das so war.
Früher, als sie alle noch Sklaven und gleich waren, gleichwertig, nichtswertig waren, da hatten sie dieselben Sorgen und Nöte geteilt. Nun aber waren sie nicht mehr gleich. Es gab die, die ein wenig gebildet waren und deshalb besser bezahlt wurden, und es gab die, die es nicht waren und den schlechteren Lohn für dreckigere Arbeit bekamen. Und wo Ungleichheit war, das hatte Fela kummervoll begreifen müssen, da gab es keine gemeinsamen Ziele mehr, da zogen Neid und Missgunst in die Herzen, da wurde bitter, was einst süß war. Und die, die aufgestiegen waren, die blickten auf die, die noch immer unten lagen, herab. Und die Unteren ließen an denen da oben kein gutes Haar.
Er war damals, vor zwölf Jahren, mitgezogen mit den Rebellen. Er hatte gekämpft und sogar getötet. Mehr als einmal. Ein schlechtes Gewissen hatte er deshalb nicht. Er dachte, er kämpfte um eine gute Sache. Heute wusste er es besser. Die Kämpfe gingen weiter. Der spanisch-kubanisch-amerikanische Unabhängigkeitskrieg tobte. Noch immer gingen Ingenios in Flammen auf, noch immer starben Menschen. Diesmal angeführt von einem, von dem Fela geglaubt hatte, dass er es besser wissen müsste: José Martí, Dichter, Gelehrter, Träumer. Aber Fela hatte begriffen, dass es für die Schwarzen in diesem Kriege nichts zu gewinnen gab.
Auch sein Verhältnis zu Hermann blieb gespannt. Ja, manchmal, an Geburtstagen, da speiste Fela mit den Weißen am Tisch. Er versorgte ihr Vieh, trotzdem spürte er, dass Hermann ihm nach wie vor Verachtung und Misstrauen entgegenbrachte. Und dieses Misstrauen wuchs und wuchs und wuchs. Fela war klar, wenn er Hermann die Gelegenheit gab, würde er ihm Titine entfremden. Er würde sie ihm wegnehmen, einfach so. Aber Fela war auf der Hut. Er würde weiterkämpfen. Um Titine. Um seine Würde, um seinen Stolz. Seit zwölf Jahren lebte er im Krieg. Es war kein Krieg der stählernen Waffen, sondern ein geheimer, subtiler Krieg, den Hermann und er miteinander führten. Und dieser Krieg würde niemals enden, bevor nicht einer von ihnen tot war.
Zweites Kapitel
E in Brief von Joachim Groth aus Havanna ist gekommen. Ich habe ihn dir auf deinen Schreibtisch gelegt.«
Mafalda strich sich das Haar aus der Stirn. Es war heiß. Unglaublich heiß und feucht. Die Kleider klebten ihr förmlich am Leib, und sie hatte das Gefühl, nicht mehr genügend Luft zum Atmen zu bekommen. Sie fühlte sich schlapp, würde am liebsten den ganzen Tag lang im kühlen Patio sitzen und Eiswasser trinken. Alle auf der Insel litten unter dieser unglaublichen Hitze. Ein Höllenfeuer könnte nicht schlimmer sein. Das Zuckerrohr verdorrte auf den Feldern, bald würde es nicht mehr genug Wasser für das Vieh geben. Die Hausmädchen mussten jeden Tag länger und kräftiger pumpen, um an das kostbare Nass zu gelangen. Mafalda geizte mit jedem Tropfen. Schon seit einer Woche war das Haus nicht mehr gewischt, die Schmutzwäsche, ein riesiger Berg, lag in der Waschküche neben dem leeren Kessel. Regen. Jeder sehnte Regen herbei. Die Schwarzen hatten seit einigen Tagen wieder begonnen, die Orishas um Regen zu bitten, doch die Götter stellten sich taub. Jeder Schritt wirbelte den ausgetrockneten, rissigen Weg auf, so dass der Staub emporstieg, sich auf Haut und Haare setzte, zwischen den Zähnen knirschte.
Hermann kam von draußen herein, das Gesicht mit einer grauen Schicht überzogen, das Haar plötzlich ganz ergraut, die Augen müde. »Diese verdammte Hitze«, klagte er und rieb sich die Stirn. »Ich habe seit Tagen Kopfschmerzen.«
Mafalda nickte. »Wetter im Kopf. Ich weiß.« Sie deutete auf den Brief. »Willst du ihn nicht lesen?«, fragte sie.
Hermann lächelte sie an. »Du bist neugierig wie ein junger Welpe«, sagte er.
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