Sterne einer Sommernacht
Boxkampf.
Devin ignorierte seine drei Brüder und lächelte Cassie, die zum Abkassieren gekommen war, an.
„Müssen nur wieder ein bisschen Dampf ablassen”, erklärte er.
„Der Sheriff kommt manchmal um diese Zeit vorbei”, warnte sie. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Und sie klang so süß in Devins Ohren, dass er fast laut aufgeseufzt hätte.
„Ich werd mal sehen, ob ich sie nicht zur Vernunft bringen kann.”
Er erhob sich und schob sich aus der Nische, wobei ihm durch den Kopf ging, dass seine Mutter wahrscheinlich sehr genau wusste, was mit ihm los war. Ihr irgendetwas zu verheimlichen war so gut wie unmöglich. Gott war sein Zeuge, dass sie es alle vier versucht hatten – immer absolut erfolglos.
Er glaubte allerdings zu wissen, auch ohne mit ihr über sein Problem gesprochen zu haben, wie sie sich dazu äußern würde.
Dass er noch jung sei und dass da andere Mädchen, andere Frauen, andere Lieben kommen würden. Um ihn zu trösten und weil sie es gut mit ihm meinte.
Aber Devin wusste, dass er, auch wenn er noch nicht vollständig erwachsen war, doch schon das Herz eines erwachsenen Mannes besaß.
Und das hatte er bereits verschenkt.
Ein Umstand, den er im Moment jedoch sorgfältig zu verbergen trachtete, denn Cassies Mitleid zu erregen wäre für ihn schlimmer gewesen als alles andere. Also schlenderte er so lässig wie möglich vor ihren Augen aus dem Lokal.
1. KAPITEL
D as Städtchen Antietam bot im Spätfrühling einen hübschen Anblick.
Sheriff MacKade machte es Spaß, bei Sonnenschein durch die Straßen zu schlendern, ab und an stehen zu bleiben, um mit einem Bekannten ein Schwätzchen zu halten und die kleinen Veränderungen in Augenschein zu nehmen, die sich hier und da ergeben hatten.
Er liebte die Verantwortung, die man ihm übertragen hatte, und füllte sie voll aus.
Vor der Bank standen pinkfarbene Begonien in hoher Blüte, und die drei Autos am Drive-in-Schalter bedeuteten bereits fast einen Verkehrsstau.
Memorial Day stand kurz bevor, die Flaggen wehten bereits von den öffentlichen Gebäuden, und überall waren Leute dabei, geschäftig ihre Veranden zu schrubben oder neu anzustreichen in Erwartung des festlichen Ereignisses.
Auch Devin freute sich jedes Jahr auf den Memorial Day, selbst wenn dieser Tag für ihn jedes Mal einige logistische Probleme bezüglich der Verkehrsführung mit sich brachte. Schon jetzt sah er das Bild vor sich, das die Einwohner von Antietam bieten würden, ängstlich darum bemüht, einen guten Platz zu ergattern, schon Stunden vor Beginn der Parade, geduldig auf ihren mitgebrachten Klappstühlen am Straßenrand ausharrend, die Kühlboxen neben sich.
Doch was ihn am meisten erfreute war die Begeisterung, mit der sich die Bürger der Stadt in die Vorbereitungen für dieses Wochenende warfen, wie viel Arbeit sie sich machten, um diesen festlichen Tag auch wirklich gebührend zu feiern.
Sein Vater hatte ihm von dem alten Mann erzählt, der, als er selbst noch ein kleiner Junge gewesen war, jedes Jahr am Memorial Day mit knarrenden Stiefeln in der Uniform der Konföderierten die Main Street hinuntermarschiert war – einer der letzten lebenden Augenzeugen des Bürgerkriegs.
Jetzt waren sie alle tot. Devins Blick wanderte hinüber zu dem Mahnmal auf dem großen Platz vor dem Rathaus. Tot, aber unvergessen. Zumindest in Kleinstädten wie dieser hier, an deren Mauern sich einst das Echo des Artilleriefeuers und der entsetzlichen Schreie der Verwundeten und Sterbenden gebrochen hatte.
Devin wandte sich ab, sah die Straße hinunter und seufzte. Mrs. Metz’ Buick parkte wie üblich wieder einmal im Halteverbot. Verpasst du ihr einen Strafzettel?, überlegte er, nahm dann jedoch wieder davon Abstand, weil er schon im Voraus wusste, wie die Sache ausgehen würde. Die streitbare Lady würde das Geld natürlich nicht wie jedermann überweisen, sondern es sich nicht nehmen lassen, es ihm höchstpersönlich zu überbringen, nur um ihm drohen zu können, ihm bei nächster Gelegenheit eine Lektion zu erteilen. Devin schnaubte ungehalten und schaute auf die Tür zur Bibliothek. Zweifellos war Mrs. Metz dort, um mit Sarah Jane Poffenberger den allerneuesten Tratsch durchzuhecheln.
Devin straffte die Schultern und ging mit elastischen Schritten die ausgetretenen Steinstufen nach oben.
Er fand sie in ein eingehendes Gespräch mit der Bibliothekarin vertieft.
Neben ihrem speckigen El bogen türmte sich ein Bücherberg, und Devin zerbrach sich den
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