Sterne im Sand
einsehen, weshalb im Augenblick einiges nicht so ist, wie es sein sollte. Niemand scheint wirklich zu wissen, welches der richtige Weg ist. Einen Rat möchte ich Ihnen aber doch geben, Cleo: Machen Sie einen weiten Bogen um Rupe und Austin. Der eine bringt nur Schwierigkeiten, der andere ändert seine Meinung mit dem Wind. Diese Woche hat Victor es sich anscheinend mit ihm verscherzt.«
»Ich nehme an, Mr. Broderick hat zur Zeit große Sorgen«, meinte Cleo verständnisvoll. In ihren Augen machte Louisa aus einer Mücke einen Elefanten, nur damit sie, die Gouvernante, sich hier nicht unwillkommen fühlte. Cleo war mit drei Brüdern aufgewachsen, die sich fortwährend und weitaus heftiger stritten als die Brodericks. Die harte Arbeit auf der Plantage und das heiße Klima heizten die Temperamentsausbrüche noch weiter an. In diesem herrlichen Haus lebte es sich weitaus friedlicher als auf der heimischen Plantage. Durch ihre Entschuldigungen und Erklärungsversuche erweckte Louisa vielmehr den Eindruck, als schäme sie sich für die angesehene Familie, in der sie lebte.
Und was Rupe betraf, so verließ Cleo sich lieber auf ihre eigene Nase. Die Köchin hatte ihr haarklein vom Drama in Cobbside berichtet. Rupe hatte den Mann verprügelt, der sein Pferd erschossen hatte, und war dafür verhaftet worden. Ganz sicher hätte jeder an seiner Stelle so gehandelt. Cleo verstand nicht, weshalb sich Louisa dessen schämte. Eine Nacht im Gefängnis war jedenfalls keine Schande. Manche Frauen sahen einfach nicht ein, daß man gelegentlich die Regeln der Höflichkeit außer acht lassen mußte, um seine Rechte durchzusetzen. Cleo war eine Rebellin; sie glaubte, daß Frauen wie Louisa und Charlotte viel zu viel Wert auf einen eleganten Lebensstil und gesellschaftliche Umgangsformen legten, um noch als echte Pioniersfrauen gelten zu können. Sie hatte ihrem Vater geschrieben, wie gut es doch gewesen sei, einige Kleider aus London mitzubringen, da sich die Leute auf Springfield zum Essen umzuziehen pflegten. Er war darüber sehr erstaunt gewesen.
Sie wußte auch um das Getuschel ihrer Schulfreundinnen, wonach man sie nur nach Übersee geschickt habe, damit sie dort einen passenden Ehemann fände. Die Wahrheit sah jedoch ganz anders aus. Da Cleos Mutter vor einigen Jahren gestorben war, hatte ihr Vater sie lediglich mitgenommen, damit er nicht allein reisen mußte.
»Du kannst ebensogut mitkommen und dir die Welt ansehen, bevor du dich niederläßt«, hatte er gesagt.
Mit ›niederlassen‹ meinte er natürlich die Hochzeit mit Tom von nebenan, dem Sohn seines besten Freundes. Diese Eheschließung würde zwei große Plantagen miteinander vereinen.
Doch nach ihrer Rückkehr hatte sich Cleo rundweg geweigert, Tom Curtis, den sie nicht einmal leiden mochte, zu heiraten.
Ihre Brüder waren dabei nicht sehr hilfreich gewesen. »Du bist nicht gerade eine Schönheit. Wer sonst sollte dich nehmen?«
Daraufhin hatte Cleo die Plantage verlassen und war zu einer Tante in Brisbane gezogen, bis sie die Stelle als Gouvernante gefunden hatte. Louisa wußte natürlich nicht, daß Cleos Vater als Zeichen seiner Reue jedem seiner Briefe Geld beilegte und sogar eine beträchtliche Summe in ihrem Namen auf einem Konto in Brisbane deponiert hatte.
»Armer Daddy«, seufzte sie. »Ich glaube nicht, daß ich je zu dir zurückkehren werde. Die Tropen mögen zwar exotisch sein, aber ich kann die Hitze nicht mehr ertragen, vom Monsun ganz zu schweigen.«
In ihrer Eigenschaft als Gouvernante hatte sie einen täglichen Stundenplan für Teddy aufgestellt: morgens Lesen, Schreiben und Rechnen, nachmittags Kunst und Werken, je nachdem, wie weit seine Konzentrationsfähigkeit reichte und wofür er sich interessierte. Cleo nahm ihre Aufgabe sehr ernst und legte Wert darauf, daß die Familie ihren Stundenplan respektierte und ihn nicht ständig umwarf. Sie wollte Teddy mit Erfolg unterrichten und beweisen, daß sie auch ohne die entsprechende Ausbildung zur Lehrerin taugte.
Außerdem würde auch Rupe es zu schätzen wissen, wenn Teddys Eltern mit ihr zufrieden wären. Cleo wußte, daß es viele Gouvernanten auf die Farmen zog, um sich einen Ehemann zu angeln, was angesichts des herrschenden Männerüberflusses nicht weiter schwierig schien. In diese Kategorie wollte sie auf gar keinen Fall gehören; jedenfalls hatte sie es nicht gewollt, bis ihr Rupe Broderick über den Weg gelaufen war. Er war zu einem attraktiven Mann geworden, groß und blond wie sein
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