Sterne im Sand
gierig trank.
»Woher kommst du?« fragte er freundlich.
»Nirgendwo.«
»Du lebst nicht hier?«
»Nein.«
»Bist du einfach auf Wanderschaft gegangen?«
»Ja.«
»Ganz allein? Das ist aber ungewöhnlich. Du scheinst ein anständiges Mädchen zu sein. Es ist sehr gefährlich, allein umherzuwandern. Du solltest mit meiner Frau sprechen, sie könnte dir eine Stelle besorgen …«
Nioka verstand von alledem nur, daß er von einer Stelle sprach, und zum Arbeiten hatte sie keine Zeit. Da er es aber anscheinend gut mit ihr meinte, nahm sie allen Mut zusammen und fragte: »Wo ist Schule für schwarze Kinder, Mister?«
»Die Schule für schwarze Kinder?« wiederholte er. »Nun, hier gibt es jedenfalls keine. Sie brauchen nicht zur Schule zu gehen. Warum fragst du? Hast du Kinder bei dir?«
Nioka ging wortlos davon, da sie nicht mehr Zeit für den alten Burschen erübrigen konnte. Sie hatte erfahren, was sie wissen wollte: Hier gab es keine Schule für ihre Jungen.
Außerhalb der kleinen Städte stieß sie oft auf traurige, erbarmungswürdige Aborigine-Lager, in denen die pure Verzweiflung herrschte. Für diese Menschen war es zu spät, um in ihre Jagdgründe zurückzukehren, und zu früh, um die Welt der herrschenden Weißen zu verstehen. Demütig nahm Nioka ihren Schutz und die armseligen Nahrungsmittel an, die sie ihr anboten. Sie sah mit eigenen Augen, welche Wirkung der Schnaps auf die jungen Männer hatte. Ihre Mutter und zugegebenermaßen auch Boß Broderick hatten sie oft genug davor gewarnt. Beide hatten im Lager jeglichen Schnaps verboten und Viehhüter oder Scherer, die ihn trotzdem hinbrachten, umgehend der Farm verwiesen.
Von diesen Menschen erfuhr sie etwas über die Missionen, wo sie Kinder hinschafften, und über Reservate, in die ganze Familien verfrachtet wurden. Sie waren nicht mehr wert als der Staub unter ihren Füßen. Wohin sie auch kam, überall fürchteten die Aborigines, sie könnten die nächsten sein, und warnten sie vor der Polizei.
Nioka wanderte weiter und fragte sich, ob die Reservate wohl noch schlimmer als diese ausgedörrten, staubigen Lager sein konnten, in denen man den ganzen Tag lang nur auf Besucher hoffte, die Schnaps oder Essen mitbrachten. Andererseits konnten die Menschen die Reservate nicht einfach verlassen, was diese auf eine Stufe mit einem Gefängnis stellte. Vor dem Gefangensein empfand sie Angst. Sie stellte sich vor, welche Unruhen entstehen mußten, wenn sie Menschen mit den unterschiedlichsten Totems in einen Raum sperrten. Die Geister würden verrückt spielen und die Leute vollends verwirren.
In ihrer Einsamkeit verkroch sich Nioka, kurz bevor sie eine weitere Stadt erreichte, in einer Scheune und weinte. Sie hatte einfach zuviel gesehen. Diese Wanderung war ein furchtbarer Fehler gewesen. In der Geborgenheit von Springfield und des Landes am See, in das Moobuluk sie voller Umsicht geführt hatte, hatte Nioka sich diese Welt gar nicht vorstellen können. Ihre Kleidung war inzwischen zerfetzt und schmutzig, und sie fühlte sich zum ersten Mal in ihrem Leben minderwertig – eine furchtbare Empfindung. Alle Schwarzen, denen sie begegnet war, wußten so viel über diese Welt und andere Dinge. Sie begriff, daß sie in ihren Augen nur eine verlassene und nicht allzu kluge Stammesangehörige war.
In dieser Nacht kam ihre Mutter zu ihr, doch sie spendete ihr keinen Trost. »Was hast du denn erwartet? Du wolltest ja nicht auf mich hören. Oh nein, für dich sollte die Welt stillstehen. Und jetzt tust du dir selber leid. Du wolltest keinen Platz in der Welt der Weißen, und diesen Wunsch hat man dir erfüllt. Für sie existierst du überhaupt nicht.«
Doch auch Boß Broderick, der grundsätzlich nie einer Meinung mit Niokas Mutter war, erschien ihr. »Geh nach Hause, du gehörst nach Springfield«, sagte er.
Er wirkte traurig, als er das sagte. »Warum bist du fortgegangen? Warum seid ihr alle gegangen? Keiner von euch war da, um mich mit einem Lied auf die Reise zu schicken, und ich habe euch vermißt. Das hat mein Sterben traurig gemacht. Ich habe euch nie etwas Böses gewollt.«
Moobuluk hatte recht behalten. Nioka hatte ihren Zorn bei der Wanderung nach und nach abgestreift. Die seltsamen Welten, in die sie gelangt war, hatten das Feuer in ihrem Inneren gelöscht, sie demütig gemacht, weil sie keine Antwort auf ihre quälenden Fragen fand.
Was soll aus uns werden? fragte sie sich unablässig, wußte aber nicht, weshalb dieser Gedanke sie so hartnäckig
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