Sterne im Sand
verfolgte. Sie war doch nur eine unbedeutende Schwarze. Nioka wanderte weiter, durch die Vororte einer Stadt, bis sie zu einem Fluß kam.
Die Dämonen nutzten ihre Hilflosigkeit sofort aus. »Sieh nur, dies ist ein großer Fluß. Breit und aufregend. Ergib dich den Flußgeistern, sie werden dich in ihre Herzen schließen …«
Vielleicht hatten sie ja recht. Der mächtige, schnell fließende Strom führte zu den Wundern der Ozeane, von denen Nioka nur gehört hatte und die sie niemals sehen würde. Es wäre so leicht, sich einfach im warmen, samtigen Wasser aufzulösen …
Sie setzte sich ans Ende eines Anlegestegs und spielte mit dem Gedanken, sich um ihres Friedens willen in den Traum gleiten zu lassen und sich auf diese Weise von all den furchtbaren Wirrnissen zu befreien.
»Was machst du hier, Mädchen?« fragte ein Mann, der dabei war, seine Angelleine auszuwerfen.
Nioka drehte sich zu ihm um.
Was machte sie hier? Was war geschehen? Hatte sie vergessen, weshalb sie den See verlassen hatte? Sie vermeinte, die Jungen weinen zu hören. Niemand sonst suchte nach ihnen. Minnie war tot, Gabbidgee hatte aufgegeben. Würde sie sie nun auch noch im Stich lassen?
»Wie heißt dieser Ort?« fragte sie müde.
Er grinste. »Nun, du bist hier in Brisbane, Missy. Das hier ist der gute alte Brisbane River, verdammt mächtiger Fluß.«
Nioka blickte stromabwärts und schrak zusammen. Dies war kein Dorf, sondern eine riesengroße Stadt. An den Ufern drängten sich Häuser, und eine ungeheure Brücke überspannte den Fluß.
»Alles in Ordnung?« fragte der Angler.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Boß. Hab’ mich wohl verlaufen.«
»Wohin willst du denn?«
»Springfield.«
Er kaute auf seiner Pfeife. »Hab’ nie von der Stadt gehört.«
»Keine Stadt, Ort mit vielen Schafen.«
»Ach so, dann kann es nicht hier in der Nähe sein.«
Nioka war fassunglos. So weit war es also schon mit ihr gekommen – sie mußte einen Weißen nach dem Weg in ihre Heimat fragen!
Tränen liefen über ihre schmutzigen Wangen. »Ich will nach Hause.«
»Na, na, das ist doch kein Grund zum Weinen. Nimm erst mal das Brötchen hier. Wenn ich unser Essen gefangen habe, rede ich mit meiner Missus. Vielleicht weiß sie ja, was zu tun ist. Es gibt ja nicht viel, was sie nicht weiß. Aber erzähl ihr ja nicht, daß ich das gesagt habe!«
Freda Omeara stand in der schmalen Gasse mit den schäbigen Häuschen und wedelte ungeduldig mit ihrer Schürze. »Rein mit euch, Kinder!« rief sie. Die zerlumpte Schar riß sich von ihrem Spiel los und drängte sich an die Mutter. Dann blieben die Kinder jedoch stehen und spähten ihrem Vater entgegen, der die Straße hinaufkam, an den leeren Bierkästen vorbei, die vor dem Hintereingang des Pubs aufstapelt waren. Die Kinder wußten, daß sie seinetwegen mit der Schürze wedelte; das tat sie immer, wenn sie wütend war. Es war beinahe dunkel, und er würde zu spät zu seiner Arbeit als Nachtwächter kommen.
Sie stießen einander an und grinsten, warteten auf die Explosion, denn ihr Pa kam nie zur rechten Zeit.
»Du kommst noch mal zu spät zu deiner eigenen Beerdigung«, pflegte Freda zu sagen.
Auch diesmal wurden die Kinder nicht enttäuscht. »Du warst im Pub, du Unglückswurm!« kreischte sie, als er nah genug herangekommen war. »Willst du diese Stelle auch noch verlieren? Und wir sind schon mit der Miete im Rückstand. Denkst du denn gar nicht an die Kleinen?«
Pa nahm sie nie ernst; er schien überhaupt nichts ernst zu nehmen. Verschmitzt drohte er ihr mit der Angelrute. Freda wich ihm aus, wobei sich die Kinder weiter an ihrer Schürze festklammerten.
»War nicht im Pub, sondern fischen, siehst du das nicht? Und hier im Korb ist unser Essen.«
Doch seine Frau starrte an ihm vorbei auf die große, heruntergekommene Schwarze, die sie zuerst für eine Passantin gehalten hatte. Nun blieb sie jedoch unmittelbar neben den Omearas stehen.
»Wen hast du da bei dir?«
»Hm, das hier ist Nioka. Eine tolle Anglerin. Hat schöne, fette Flußkrebse gefangen. Sieh dir die mal an! Zusammen mit den Fischen gibt das ein richtiges Festessen.« Er drehte sich zu Nioka um. »Sag Mrs. Omeara guten Tag, dann gehen wir rein.«
Als Nioka schüchtern nickte, sahen die Kinder zu ihrer Mutter auf.
»Was denkst du dir dabei, eine Schwarze mitzubringen? Bist du völlig von Sinnen?«
Dann geschah etwas, das nur selten vorkam. Das Lächeln verschwand aus seinem breiten Gesicht, und die blauen Augen wurden
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