Sterne im Sand
konnte.
»Nein, nein! Dein Junge, der kommt.« Er zog verächtlich die Nase hoch. »Schon vergessen? Wie unsere Kinder? Ist nicht gut.«
Doch Harry starrte ihn nur fassungslos an. Connie war schwanger, das stimmte, doch woher sollte er das Geschlecht des Kindes kennen?
»Woher weißt du, daß meine Frau ein Baby erwartet?« fragte er, wußte aber, daß er darauf keine Antwort erhalten würde. Dies war eine der völlig unglaublichen Situationen, in die man mit den Aborigines gelegentlich geriet und die schon Legende geworden waren. Er spürte eine Welle der Freude in sich aufsteigen. Dies war wirklich, und er rieb sich innerlich die Hände beim Gedanken an die Wetten, die er auf das Geschlecht des ungeborenen Kindes annehmen konnte und zweifellos gewinnen würde. Er würde einen Sohn haben.
Der dreibeinige Dingo hinkte am Ufer entlang. Moobuluk sah zu, wie er sich das Wasser aus dem Fell schüttelte. Vermutlich hatte er sich abkühlen oder einen Fisch fangen wollen, so genau wußte man das bei Dingos nie. Mit demütigen, braunen Augen näherte er sich dem alten Mann, und Harry konnte sich einer gewissen Rührung nicht erwehren. Das war echte Freundschaft zwischen diesen beiden.
Moobuluk streichelte den Hund und redete in seiner eigenen Sprache auf ihn ein. Dann packte er Harry mit starker Hand und zog ihn zu sich heran.
»Hab auf dich gewartet, Harry, lange Zeit. Muß Dinge sagen.« Sein Blick verschleierte sich. »Du immer guter Junge, Harry. Warst krank, aber wieder gut, was?«
»Ja«, sagte Harry und hielt gespannt den Atem an.
Moobuluk nickte. »Boß Broderick auch guter Kerl. Kein Krieg mehr. Er und ich, beide Krieger, immer stolz. Keine Angst. Er jetzt oben auf Hügel, geht nicht mehr weg, ich auch nicht. Unser Heim.« Sein Griff verstärkte sich und wurde unangenehm. »Boß Broderick sagen, Kinder nicht in einer verdammten Schule.« Seine Stimme wurde lauter.
»Hörst du, Harry? Boß sagt mir, Kinder ›in keiner verdammten Schule‹! Verstehst du?«
Harry spürte, wie sich seine Haare sträubten. Er hätte schwören können, daß die Worte ›in keiner verdammten Schule‹ aus Austins Mund stammten. Sie klangen wie er, tief, leidenschaftlich, zornig – nicht wie die krächzende Stimme eines Hundertjährigen.
Nein, er verstand gar nichts.
»Du jetzt gehen.« Er ließ Harrys Hand los. »Denk an alten Moobuluk und seine Kinder, ja? Dies ist Schlafenszeit.«
»Ich werde daran denken, aber könntest du mir bitte etwas über Teddy sagen?« Er sah sich verzweifelt um. »Bitte, wen sollte ich sonst fragen?«
Moobuluk kniff die Augen zusammen. »Ich sage. Kein Tod hier. Nur Leben.« Er stieß ihn an. »Auch Leben von deinem Sohn, was? Hast Glück. Machst altem Mann noch Geschenk.«
»Du meinst einen Gefallen tun?«
»Ja. Hol Nioka, paß auf sie auf. Sie ist gute Frau, weiß über anderen Jungen.«
»Oh Gott, wo ist sie?«
Moobuluk deutete mit dem Arm. »Da drüben.«
»Wo?«
»Hund bringt dich hin. Er weiß. Du ihr besser helfen.« Er streichelte wehmütig Harrys Arm. »Guter Tag für Wanderschaft, was?«
Harry mußte seine Ungeduld zügeln, um nicht unhöflich zu erscheinen, doch das war gar nicht nötig, da der alte Mann wieder in seine Träume versunken war. Der Hund schaute erwartungsvoll zu ihm hoch.
»Los!« rief Harry. Er rannte hinter dem Dingo her und fragte sich, ob dies nur eine grausame Fata Morgana sei, ob er Nioka überhaupt finden würde und wie er ihr helfen sollte. Wieviel wußte sie? Er lief und lief, stolperte durch Büsche und über felsige Landzungen, immer getrieben von der Angst, das Tier aus den Augen zu verlieren.
Nioka hatte noch einen weiten Weg vor sich. Sie und Teddy waren tief ins Landesinnere gewandert. Der Fluß wand sich auf seinem uralten Weg quer durchs Land, umtoste Felsen und hatte sich im Laufe der Zeit durch weicheren Sandstein gegraben, bis er schließlich in die Ebene vordrang, wo nichts mehr seinen natürlichen Lauf hemmte.
Das Kind war niedergeschlagen. Dieses Abenteuer gefiel ihm nicht. Sie waren so überstürzt aufgebrochen, daß sie sogar das Känguruh zurücklassen mußten. Und dann waren da noch das Spielhaus und die selbstgesammelten, noch ungeöffneten Nüsse.
Teddy ließ sich nur widerwillig weiterziehen, so daß Nioka ihr Tempo verlangsamen mußte. Ängstlich sah sie immer wieder über die Schulter, als erblicke sie hinter sich die Dämonen. Sie heulte innerlich auf. Wenn sie das Kind in den Fluß stürzen mußte, würde sie ebenfalls
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