Sterne im Sand
aufregend, daß Nioka sich selbstzufrieden aufblähte, doch plötzlich schoß sie aus dem Schlaf hoch.
Dies war nicht Jagga, sondern Teddy, ein weißer Junge. Enttäuscht über den Traum, versuchte sie die Geschichte zu deuten. Es war schwer, sich von dem Gefühl außergewöhnlicher Zufriedenheit zu lösen, die die Traumwelt bot, doch eine Konfrontation mit der Realität war unvermeidlich. Es war unmöglich. Für ein einsames schwarzes Mädchen interessierte sich keiner, doch eine Aborigine-Frau in Begleitung eines weißen und überaus gesprächigen Kindes würde sofort auffallen. Alle würden sie anstarren und Fragen stellen. Der Busch gewährte ihnen auch nicht genügend Schutz. Die gefürchtete Polizei, die in zunehmendem Maße Eingang in die Legenden der Aborigines fand, würde sie sicher aufgreifen.
Der nächste Tag verlief ruhig und faul, da Teddy von seinen Abenteuern erschöpft war. Nachts kuschelte sich Nioka an den Jungen und zog die Decke über ihn. Sie schliefen auf einer Schilfmatte, die ihre Körperwärme speicherte und zurückgab, während das Gestrüpp der Hütte ihnen von oben Schutz bot. Durch die Ritzen schimmerte ein silberner Mond. Das kleine Känguruh verspürte Lust auf einen nächtlichen Ausflug. Sie hielt ihm Gummibaumblätter hin, an denen es eine Weile kaute und wieder einschlief. Auch Nioka nickte ein.
Im Schlaf kehrten die Dämonen mit voller Macht zurück, boshaft und selbstgerecht. Sie behaupteten, ihre Schwester sei bei ihnen.
»Das Kind gehört dir. Du hast es aus dem Wasser geholt. Wir haben es dir gegeben. Ein Leben für ein Leben. Deine Schwester ist hier, ganz verzweifelt. Weshalb läßt du sie im Stich? Wie kann sie in das andere Leben hinübergelangen, wenn du so schwach bist? Sie sagt, ein Leben für ein Leben. Selbst das ist nicht genug. Unser Clan hat drei Kinder und deine Schwester verloren. Die Zeit der Vergeltung ist gekommen.«
»Nein«, schrie Nioka.
Dann sah sie Boß Broderick und Victor und seine Frau und alle anderen Weißen, die über die Wiese am Haus schlenderten, während Teddy sich mit einem Spielzeugwagen amüsierte …
»Sieh sie dir an«, höhnten die Stimmen, »sie haben dein Kind genommen, unsere Kinder, und sie irgendwo achtlos weggeworfen. Wir werden sie nie wiedersehen. Schau dir die Weißen an. Ihnen ist alles egal. Sie sind von Natur aus grausam. Sie verachten uns. Unsere Kinder sterben irgendwo und finden niemals den Weg in die Traumzeit. Die Weißen müssen bestraft werden. Wer wüßte das besser als du?«
Nioka nickte. Sie war schwach, das wußte sie. Einst wurde sie von Haß verzehrt und hatte das gleiche starke Bedürfnis nach Vergeltung verspürt, doch irgendwie hatte es sich aufgelöst, war auf ihrer Wanderung verlorengegangen.
Der Busch um sie herum knisterte heftig wie bei einem Feuer, und es lag eine seltsame Spannung in der Luft, als Nioka die Fesseln der Sterblichkeit abzustreifen schien. Es war eine rauschhafte Erfahrung; sie erhielt die Macht über Leben und Tod.
Die Wesen umgaben sie von allen Seiten. »Ist es nicht Zeit für die Vergeltung?«
Sie nickte und akzeptierte die unausweichliche Konsequenz des Zorns, von dem sie durchdrungen waren. Die Vergeltung mußte vollzogen werden, sonst würden die Emu-Leute wie schon so viele kraftlose Clans vor ihnen zu Staub zerfallen.
»Du hast ihn aus dem Fluß geholt, du bringst ihn wieder hinein«, befahlen die Stimmen. »Nur wir werden wissen, daß das Gesetz erfüllt wurde. Deshalb haben wir ihn dir gegeben. Verstehst du das nicht, sind dir unsere Gesetze fremd? Du hast das Privileg erhalten, deine Schwester zu rächen. Sie steht hier und wartet. Bring ihn zurück in den Fluß.«
»Nein!« schrie Nioka lautlos. Das Kind schlief noch. Der Busch erwachte langsam. Kookaburras kicherten. Kleinere Vögel zwitscherten. Gelbes Licht drang durch die Zweige. Eine Eidechse eilte vorüber. Frösche tauchten unter den wachsamen Augen einer Krähe mit einem Plop in den Bach.
Nioka war wie betäubt. Sie meinte, Louisa rufen zu hören, doch die Stimme klang schwach aus einer Welt voller seltsamer Gestalten zu ihr herüber, und sie konnte die Worte nicht verstehen. Ihr Puls raste noch von den Angriffen der Dämonen, vor denen sie sich schrecklich fürchtete. Sie konnten schmerzhafte Strafen verhängen, wenn man sich ihnen in den Weg stellte.
Leise weckte sie Teddy auf. »Komm, wir müssen gehen.«
»Wohin?«
»Zum Fluß.«
Als er taumelnd auf die Füße kam, hoben die Krähen an, mit ihrem
Weitere Kostenlose Bücher