Sterne im Sand
Fischer beobachteten vom Kai aus fasziniert das Geschehen und brachen bald in lautes Gelächter aus. Der Kleine schwamm wie ein Fisch und ließ Barney weit hinter sich.
Allmählich setzte Theo Bobbos Vergangenheit wie ein Puzzle zusammen. Er hatte mit seiner Horde auf einer Schaffarm an einem großen Fluß gelebt und war weggeschickt worden, um das zivilisierte Leben zu erlernen. Diese Information hatte er von interessierten Passagieren erhalten, die sich etwas auf ihr Wissen einbildeten und es bereitwillig an andere weitergaben.
»Das kommt häufig vor«, erklärten sie ihm. »Die schwarzen Kinder müssen von ihren Stämmen getrennt und in die weiße Gesellschaft aufgenommen werden. Es ist am besten so.«
In Theo wuchs der Groll, als er begriff, was dieses Kind durchgemacht hatte, dieses Kind, das noch immer im Schlaf nach seiner Mutter rief und sich sogar vor Theo verängstigt zusammenkrümmte, wenn es aus Versehen in seine eigene Sprache verfiel. Er holte Erkundigungen über dieses gewaltsame Zivilisierungsprogramm ein, und je mehr er darüber erfuhr, desto weniger gefiel es ihm. Er dachte an seine eigene Mutter, die verzweifelt gegen die Armut angekämpft hatte, um ihre Familie beisammenzuhalten. Niemand hätte es wagen dürfen, eines von ihren vier Kindern aus ihrer Mitte zu reißen. Um die Wahrheit zu sagen, Theo konnte dieses Verhalten nicht einmal ansatzweise verstehen. Die Leute redeten von Zivilisierung, doch er argwöhnte, sie meinten in Wirklichkeit Christianisierung. Er hegte tiefes Mißtrauen gegen Menschen, die sich selbst großspurig als gute Christen bezeichneten.
Die Zeit verging. Bobbo folgte den Matrosen auf Schritt und Tritt. Sie ließen ihn das Messing polieren, die Sitze der Passagiere abwischen und Abfall aufheben, um ihn zu beschäftigen, da er nur dann den Kapitän in Ruhe seine Arbeit machen ließ. Bei gutem Wetter spielte er abends mit Wurfringen aus Seilenden an Deck, während Theo nachdenklich daneben saß.
Der Kapitän wußte noch immer nicht, wo Springfield lag, und war der Fragerei allmählich überdrüssig. Der Junge glich in seinen Augen einem entflohenen Sträfling, eine Situation, mit der er sich bestens auskannte. Wie konnte er sichergehen, daß Bobbo nicht wieder zurückgeschickt würde, sobald er zu Hause angekommen war? Einen weiteren Aufenthalt im Waisenhaus würde er nicht überleben.
Nicht, daß er den verdammten Bengel gern gehabt hätte, mitnichten, aber irgend jemand mußte sich schließlich um ihn kümmern. Selbst wenn ihm eine erneute Flucht aus dem Waisenhaus gelingen sollte, würde er danach vermutlich verhungern oder in schlechte Gesellschaft geraten. Außerdem benahm er sich ganz anständig, seit er wieder an Bord war. Dann fiel ihm etwas ein. Ein neuer Name mußte her, um ihn zu schützen. Er rief das Kind von da an Robbie in Erinnerung an Robert Burns, den größten schottischen Dichter aller Zeiten.
Fern war überrascht, als Charmaine Collins so früh am Morgen vor ihrer Tür stand. »Du bist mir ja vielleicht eine Frühaufsteherin, Charmaine! Komm doch herein.«
»Nein, ich möchte dich nicht lange aufhalten. Du hast sicher viel zu tun. Ich wollte mich nur erkundigen, wo ich Harry Broderick finden kann.«
»Er wohnt hier bei mir. Komm mit in den Salon, ich werde ihn holen.«
»Ich störe doch hoffentlich nicht.«
»Nein, im Gegenteil, ich freue mich, dich zu sehen. Wie geht es Angus? Ich hörte, er sei krank.«
»Mittlerweile hat er sich wieder erholt, es war ein leichter Herzanfall. Der Arzt sagt, er solle in den Ruhestand gehen, aber du kennst ihn ja. Er scheint zu glauben, ohne ihn ginge die Kanzlei vor die Hunde, obwohl inzwischen unsere beiden Söhne den Laden schmeißen.«
Fern lächelte. »Wahrscheinlich kann er sich ein Leben ohne Arbeit nicht vorstellen. Wann immer ich ans Aufhören denke, bekomme ich Angst, ich ginge ein vor Langeweile …«
»Aber du bist doch noch munter wie ein Fisch im Wasser«, erwiderte Charmaine. »Mit dem Ruhestand ist es bei dir noch lange hin.«
»Danke für das Kompliment. Warte einen Augenblick, ich bin gleich wieder da.«
Kurze Zeit später kam sie in Harrys Begleitung zurück, der sich noch die Krawatte band. »Mrs. Collins, wie schön, Sie wiederzusehen. Sie sehen blendend aus.«
Charmaine dachte das gleiche von ihm. Keine Anzeichen mehr von diesem Nervenzusammenbruch, von dem man so viel gemunkelt hatte. »Vielen Dank, Harry. Ich hoffe, ich habe Sie nicht beim Frühstück gestört.«
»Nein,
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