Sterne im Sand
Bobbos Anhänglichkeit ansprach. »Nur, weil ich ihm zu essen gebe.«
Die beiden Matrosen hingegen fanden die Situation überaus komisch. Sie konnten sich einfach nicht vorstellen, daß jemand ihren zänkischen Boß gern hatte, vor allem nicht dieses Kind, für das er kein freundliches Wort übrig hatte. Er wies seine Matrosen im Gegenteil an, ihm den Kleinen vom Leib zu halten.
Sie wußten jedoch nicht, daß Theo nachts, wenn die
Marigold
am Kai von Somerset vor Anker lang, bei dem Kind saß und ihm Gesellschaft leistete, um sein Leiden zu lindern. Es kam ihm nicht in den Sinn, Bobbo Geschichten zu erzählen oder Kinderspiele zu erfinden, da er dies aus seiner eigenen Kindheit nicht kannte; er zündete nur seine Pfeife an und saß da, umgeben von den Regalen mit Ersatzteilen und Konservendosen und anderem Krimskrams, dachte an nichts Besonderes und wartete, bis dem Kleinen die Augen zufielen.
Als sich Bobbo von dem Ausschlag erholt hatte, schien es Theo an der Zeit, etwas über das Kind und seine Herkunft in Erfahrung zu bringen, damit er sich seiner endgültig entledigen konnte. Er begriff nicht, daß Bobbo ihn trotz seiner rauhen Art liebgewonnen hatte und genau wußte, daß dieser Mann keine Bedrohung für ihn darstellte. Er beantwortete bereitwillig die Fragen des Kapitäns und bestand darauf, nach Hause zu wollen.
»Da hinten«, sagte er immer wieder, »da gehe ich hin.«
Mit einiger Mühe gelang es Theo herauszufinden, daß Bobbo und zwei seiner Freunde von einem Betmann und seiner Missus in die Stadt gebracht worden waren. Vermutlich handelte es sich dabei um einen Priester oder Prediger. Mit solchen Menschen hatte Theo es nur am Tag seiner Hochzeit zu tun gehabt und das auch nur, weil es sich aus rechtlichen Gründen nicht vermeiden ließ. Der Junge stellte im Gegenzug natürlich ebenfalls Fragen, Fragen, die nur einem äußerst lebhaften Verstand entspringen konnten. Wo war seine Mis-sus? Wo war seine Mumma? Gehörte ihm dieses große Boot? Warum besaß er keine Schafe? Wo war seine Horde? Seine Familie? Nach und nach erfuhr Theo mehr über die Herkunft des Jungen.
Schließlich fand er heraus, daß dieses Kind mit einigen Gefährten in einem Waisenhaus in der Stadt gelandet war, aus dem der Kleine sich davongemacht hatte. Das gefiel ihm. Natürlich ließ er sich das nicht anmerken, doch sein Respekt für die Kühnheit des Jungen, der ganz auf sich allein gestellt den Heimweg finden wollte, wuchs. Immerhin konnte er nicht viel älter sein als sieben.
»Du bringst mich nicht zu Schlägern zurück, Kapitän?« fragte Bobbo ernsthaft, und Theo mußte lachen. Das Wort hatte er sicher von den anderen Kindern aufgeschnappt, doch es verriet einiges über die Zustände im Waisenhaus. Interessiert hakte er nach und geriet in Wut, als er von dem verängstigten Kind mehr über die brutale Behandlung erfuhr, die ihm dort zuteil geworden war.
»Nein, mein Freund, dorthin bringe ich dich ganz bestimmt nicht zurück.«
Dennoch blieb die Frage nach seinem Zuhause bestehen, wo immer das auch sein mochte. Er mußte Bobbo erklären, daß es nicht einfach auf der anderen Seite des Flusses lag, obgleich sich der Junge daran erinnerte, daß sie über eine große Brücke gefahren waren. Erstaunlich, was sich Kinder so alles merkten. Er konnte ihm nur mit Mühe klarmachen, daß es wenig Sinn hatte, am anderen Ufer auszusteigen. Er würde sich nur wieder verirren. Sein Zuhause konnte Hunderte von Meilen entfernt sein. Seufzend machte er sich daran, dem Kind begreiflich zu machen, was eine Meile war. Dies erforderte einiges an Geduld, da Bobbo noch keine Vorstellung von Entfernungen hatte, doch Theo hoffte, daß er aufgrund ihrer täglichen Reisen und der verschiedenen Ankerplätze mit der Zeit ein Gespür dafür entwickeln würde. Er hatte Angst, der Kleine könne wieder davonlaufen und in noch schlimmere Situationen geraten, und wies ihn daher strengstens an, an Bord zu bleiben, bis sie sein Zuhause gefunden hätten. Bobbo versprach es ihm mit vertrauensvollem Blick.
Nun durfte er sich auf dem Schiff frei bewegen und war bald schon überall als der Kabinenjunge bekannt, dessen fröhliches Lächeln die Passagiere bezauberte. Theo hingegen machte sich ständig Sorgen um ihn und fürchtete, er könne über Bord fallen. Daher befahl er Barney an einem Sonntagmorgen, Bobbo das Schwimmen beizubringen. Er sah vom Deck aus zu und rief Barney, der mit dem Kind vom Ufer ins sanft dahinfließende Wasser watete, Anweisungen zu. Die
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