Sterne im Sand
die vor ihm lagen, beflügelte ihn dabei sehr, nicht zuletzt die Reise nach Victoria, dem Staat weit unten im Süden, wo er lernen würde, wie er seinem Vater am besten zur Seite stehen konnte.
Bobbo schob den Kapitän durchs Vorzimmer der Kanzlei. Er war traurig, schrecklich traurig. Sein beflissenes Lächeln war verschwunden, denn er hatte seine Rolle, die er auf wütende Anweisung des Kapitäns gespielt hatte, abgelegt. Eigentlich hatte er gar nicht herkommen wollen. Das Gerede über das Testament, den Todespakt, machte ihm angst. Es war, als fordere man das Schicksal heraus, als treibe man Scherze mit den Geistern, als gehe man über sein eigenes Grab und trotze den Elementen.
Sie hatten monatelang deswegen gestritten, bis der Kapitän erklärte, dann wolle er eben allein gehen, doch das konnte Bobbo nicht zulassen. So flink Logan sich an Bord auch bewegen mochte, in der Stadt mit ihrem gefährlichen Verkehr war er nicht sicher. Sein Sehvermögen ließ rasch nach. Wenn er nicht aufpaßte, würde er unter die Hufe der Pferde geraten.
Bobbo hatte mit befreundeten Stammpassagieren über das Leiden des Kapitäns gesprochen, und sie hatten ihm einige Ärzte empfohlen, doch Logan weigerte sich strikt, sie aufzusuchen. Er sagte, sein Augenlicht läge in der Hand Gottes und nicht in der irgendwelcher Kurpfuscher. Darauf wußte Bobbo keine Antwort, machte sich aber dennoch weiterhin Sorgen.
Obwohl er all die Jahre unter dem Namen Robbie gelebt und nie daran Anstoß genommen hatte, da er dem Kapitän das Recht zugestand, einen Namen für ihn auszusuchen, hielt er unverwandt an seiner Identität fest. Er bewahrte seinen wirklichen Namen wie einen Schatz, den er niemals preisgeben würde, zumal er die letzte zerbrechliche Verbindung zu seiner verlorenen Familie bedeutete. Er dachte selten an jenen Teil seines Lebens zurück, der wie ein bedrückender Traum für ihn war, nämlich der, in dem seine Mutter ertrank. Nicht in reißenden Fluten, sondern in ungefährlichen Gewässern. Dieser Punkt verwirrte ihn immer wieder aufs neue. Eines wußte er jedoch ganz genau: Immer wieder rief sie in diesem Traum seinen Namen und legte ihre ganze wunderbare, zärtliche Liebe hinein.
Mit der Zeit hatte er sich vom Kabinenjungen zum ersten Maat einer dreiköpfigen Mannschaft hochgearbeitet. Ihr derzeitiger Matrose war ein Chinese namens Willy Chong, der schon seit Jahren mit ihnen fuhr, da er fähig, klug und zuverlässig war. Und taub. Die Beleidigungen und Beschimpfungen des Kapitäns prallten an ihm ab. Auf seinem Gesicht stand immer ein leicht entrücktes Lächeln.
So waren sie mit der Zeit zu einer Familie geworden. Einer netten Familie mit Nähe und Abstand. Zu dritt lebten sie auf dem Boot. Der Kapitän war der unumstrittene Chef; von dem ungefähr zwanzigjährigen Willy war nichts zu erfahren über ihn selbst oder seine Vergangenheit. Trotz seines Alters sehnte sich Bobbo in geradezu kindlicher Weise nach einer Geborgenheit, die ihm die Männer nicht geben konnten, so sehr er sich auch bemühte, den sentimentalen Gedanken an eine Heimkehr zu verdrängen. Hätte es ein Zuhause gegeben, hätte der Kapitän es zweifellos für ihn gefunden. Also blieb ihm nur der Name Bobbo, den er hütete wie einen Talisman. Er war sein Zwilling, sein Vertrauter, sein Freund.
Der Kapitän war so verdammt eigensinnig, daß er sich hartnäckig geweigert hatte, für den Weg in dieses schicke Anwaltsbüro einen Gehstock zu Hilfe zu nehmen. Also führte Bobbo ihn vorsichtig über den glatten Linoleumboden. In dem langen Flur kam ihnen ein hochgewachsener Junge entgegen, vermutlich Mr. Winters’ Enkel. Mußte etwa in seinem Alter sein, war aber größer als er selbst. Größer und dünner. Bobbo war auf einmal stolz auf seinen harten, muskulösen Körper. Diesen Burschen hätte er in Sekundenschnelle zu Fall gebracht. Er bemerkte seine elegante Kleidung und sah ihn verächtlich an.
Aus Gewohnheit machten der Kapitän und Bobbo dem Jugendlichen Platz, der ihnen höflich zunickte und das Büro seines Großvaters betrat. Das gefiel Bobbo. Manche Leute schoben den Kapitän einfach beiseite.
Logan war bereits auf dem Weg zur Tür und stützte sich mit einer Hand an der Wand ab, doch Bobbo zögerte noch und folgte dem Jungen mit den Augen. Die Neugier trieb ihn dazu, einen Blick in eine andere Welt zu werfen, die Welt dieses wohlhabenden Schuljungen, dessen Großvater eine bedeutende Persönlichkeit zu sein schien. Ein Rechtsanwalt. Wie mochte es
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