Sterne im Sand
verflogen.
Zögernd ging sie zum Haus zurück. Sie konnte es kaum ertragen, Austin, der stets so voller Leben war, in diesem Zustand zu sehen. Aber Louisa war ebenfalls die ganze Nacht auf gewesen und sollte sich nun ein wenig hinlegen können. Als Charlotte den Hof überquerte, schoß der Reverend auf sie zu. »Guten Morgen, meine Liebe. Wie geht es dem Patienten?«
»Keine Veränderung, danke der Nachfrage. Wir warten auf den Arzt, Mr. Billings. Ich hörte, Sie gedenken heute morgen aufzubrechen. Sie müssen aber nichts übereilen.«
»Leider doch. Ich hatte gestern abend eine Unterredung mit Mr. Broderick, es ging um die schwarzen Kinder. Er war ganz begeistert von unserem Programm und zeigte sich sehr großzügig. Er diktierte einen Brief an meinen Bischof, die Betreuung der drei Jungen betreffend, begleitet von einer generösen Spende …«
»Ich bin froh, daß er zugestimmt hat«, sagte Charlotte eilig.
»Sie halten uns doch über ihre Fortschritte auf dem laufenden?«
»Natürlich. Ich hoffe, Sie denken nicht, daß unsere kleine Unterhaltung diese schlimme Wendung herbeigeführt hat. Ich habe ihn nicht aufgebracht, er war guter Dinge während unseres Gesprächs …«
»Ja, dessen bin ich sicher …«
»Es war der Brief. Der hat ihn so erregt.«
»Welcher Brief?«
»Von seiner Bank. Darin warnte man ihn vor irgendeinem Gesetz. Sogar während er zusammenbrach, als er sich bereits vor Schmerzen wand, hat sich dieser gute Mann mir noch anvertraut. Er sagte: ›Ich hätte nie gedacht, daß es soweit kommen würde. Ich wollte sie nur auf Trab bringen.‹«
»Wo ist dieser Brief?«
»Auf dem Schreibtisch Ihres bedauernswerten Mannes, würde ich sagen. Oder vielleicht auf dem Boden. Es tut mir sehr leid, ich hatte keine Zeit, ihn an mich zu nehmen …«
»Schon gut. Wann brechen Sie auf?«
»Wenn wir ein zeitiges Frühstück bekommen könnten …«
»Ja, natürlich. Ich spreche mit der Köchin, Mr. Billings. Jetzt muß ich aber gehen. Ich komme mich von Ihnen verabschieden, sobald Sie reisefertig sind.«
Charlotte fand Victor neben Louisa am Krankenbett. Sie nahm ihn beiseite.
»Weißt du etwas über einen Brief von der Bank?«
»Nein.«
»Komm, wir suchen danach. Vermutlich hat der ihm diesen Schock versetzt.«
Victor fand das verhängnisvolle Blatt Papier neben Austins Schreibtisch auf dem Boden. Er überflog den Wortlaut und nickte dann. »Es ist durch, Mum. Das Land ist nun freigegeben, und wenn wir es behalten wollen, müssen wir es kaufen.«
»Aber Harry hat doch gesagt …«
»Dad hatte recht«, sagte Victor zähneknirschend. »Harry ist ein Windbeutel. Ich hoffe, Rupe denkt daran, ihm von Cobbside aus ein Telegramm zu schicken. Ich drehe Harry den Hals um, wenn ich ihn sehe …«
Charlotte brachte ihn zum Schweigen. »Das wirst du schön bleibenlassen. Wir haben ohnedies Schwierigkeiten genug. Dein Vater steht das nicht durch. Und erwähne bitte nichts davon in seiner Gegenwart. Er ist zu krank, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen, und kann sich an den Brief vielleicht gar nicht mehr erinnern.«
»Da kennst du Vater aber schlecht«, murmelte Victor zwischen den Zähnen, während Charlotte an die Seite ihres Mannes eilte. Beim Aufräumen hatte sie alle Landkarten in einem Schrank verstaut und dabei alte mit neuen vermischt. Victor hatte sie stöhnend mit in sein Büro genommen, um sie zu ordnen. Er und Rupe hatten eine Menge Arbeit vor sich. Der alte Mann hatte ihnen einen Ausweg aus dem Dilemma gewiesen, und Victor war fest entschlossen, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Er trat auf die Veranda hinaus und schaute über das Tal.
»Keine Sorge, alter Junge«, murmelte er. »Sie werden uns nicht kleinkriegen. Springfield wird überleben, das verspreche ich dir.«
Amy verließ Springfield nur ungern, da sie der Gedanke an die beschwerliche Reise und die Rückkehr in ihre schäbige Unterkunft in Brisbane schreckte. Ihr ganzer Besitz füllte nicht einmal diesen rumpelnden Wagen aus. In der Stadt lebten sie in einer drittklassigen Pension. Die Besitzerin war eine alte Dame, die ebenfalls ihrer Kirche angehörte. Gerüchteweise hatte sie dem Bischof das Haus laut Testament überschrieben, obgleich es vermutlich keinen großen Wert besaß, da es dort von Flöhen und anderem Ungeziefer nur so wimmelte. Zum ersten Mal, seit sie den Weg der Erlösung eingeschlagen hatten, beklagte sich Amy bei Tom über den Dreck, in dem sie leben mußte. Ihre Zweifel hatten ihn erschüttert,
Weitere Kostenlose Bücher