Sterne im Sand
rief nach Mrs. Broderick. Der rachedürstende Gott, der es nicht hinnehmen konnte, daß der Mensch sündigte, hatte erneut zugeschlagen.
Die Sorge legte sich wie ein Mantel über den gesamten Haushalt. Um Broderick, der auf dem Ruhebett in seinem Zimmer lag, stand es schlecht. Seine Frau und Victor blieben bei ihm. Rupe war trotz der späten Stunde in das weit entfernte Dorf Cobbside geritten, um einen Arzt zu holen. Louisa Broderick hatte ihren kleinen Sohn nach oben gebracht und versucht, ihn zu beruhigen. Das Kind beklagte sich bitterlich, da man ihm versprochen hatte, es dürfe die Party mitfeiern.
Tom und Amy saßen vergessen im Wohnzimmer. Durch die offene Flügeltür zum Speisezimmer konnten sie die lange Tafel sehen, die festlich gedeckt und mit einem herrlichen Blumenarrangement geschmückt war.
»Sollen wir für ihn beten?« flüsterte Amy.
»Er ist in Gottes Hand. Wir brauchen uns nicht einzumischen.«
»Ich dachte nur …«
»Das solltest du nicht tun. An uns denkt ja auch niemand. Das Essen hätte schon vor Stunden serviert werden sollen. Das Personal ist überaus nachlässig. Es gibt keine Entschuldigung für eine derartige Mißachtung der Gastfreundschaft.« Obwohl er es nicht zugeben wollte, gefielen Tom die Mahlzeiten auf Springfield am besten. Er fieberte dem ausgezeichneten Essen geradezu entgegen. Sein Magen knurrte unablässig bei dem Gedanken an die Köstlichkeiten, die servierbereit in der Küche standen. Die letzte Mahlzeit schien bereits eine Ewigkeit zurückzuliegen.
Schließlich kam Louisa Broderick mit den schwarzen Hausmädchen ins Speisezimmer gerauscht. Unglücklich umklammerte Tom sein Gebetbuch – sie räumten den Tisch ab! Kerzenleuchter, Gläser und all die anderen schönen Sachen verschwanden vor seinen Augen und ließen einen alltäglich gedeckten Tisch zurück.
Louisa trat ins Wohnzimmer. »Es tut mir so leid, daß Sie warten mußten, aber wir waren sehr in Sorge. Es war ein solcher Schock, an eine Feier war gar nicht zu denken, aber wenn Sie nun mitkommen möchten …«
Sie erhoben sich prompt von ihren Stühlen.
»Wie geht es Mr. Broderick?« erkundigte sich Amy eifrig.
»Furchtbar. Er hat solche Schmerzen. Er ist bei Bewußtsein, kann aber nicht sprechen, so sehr er sich auch bemüht. Es ist so traurig …«
»Klingt nach einem Schlaganfall«, bemerkte der Reverend.
»Ja. Bitte warten Sie nicht auf uns. Wir essen nachher eine Kleinigkeit.«
»Verstehe. Unter diesen Umständen wäre es wohl besser, wenn wir morgen früh gleich aufbrächen. Teilen Sie Mrs. Broderick bitte mit, daß wir heute abend packen.«
»Selbstverständlich.« Louisa wirkte so erregt, daß Tom sich nicht gewundert hätte, wenn sie seine Nachricht einfach vergaß. Doch Tom empfand kein Mitleid mit ihr. Diese Leute führten ein so sorgenfreies Leben, daß ihnen ein wenig Kummer gar nicht schaden konnte. Er marschierte vor Amy zum Tisch, nahm seinen angestammten Platz ein und stopfte sich die Serviette in den Kragen. Dann klopfte er mit einem Löffel gegen die Zuckerdose, um die Küche auf seine Wünsche aufmerksam zu machen.
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3. Kapitel
Der Frühnebel schwebte geheimnisvoll über dem Fluß. Wasservögel auf langen Stelzbeinen wateten durchs seichte Wasser und schenkten der Frau, die allein am abschüssigen Ufer stand, keine Beachtung. Sie schaute auf den Fluß hinaus, als könne sein gemächliches Dahinfließen ihre Ängste vertreiben.
Charlotte war die ganze Nacht an Austins Seite geblieben, hatte versucht, seine Schmerzen zu lindern, für ihn gebetet, ihn getröstet. Aber würde er je wieder gesund werden? Sein Sprachvermögen hatte schwer gelitten, und anscheinend konnte er den rechten Arm nicht bewegen. Schlimmer noch, er war sich dessen bewußt und reagierte mit Zorn, verzweifeltem Zorn darauf. Sie betete, daß der Arzt bald kommen möge, um ihn zu beruhigen und ihm Zuversicht zu schenken. Rupe war bestimmt geritten wie der Teufel, aber was, wenn Dr. Tennant außer Haus war? Ein Landarzt konnte sich überall im Bezirk aufhalten.
»Bitte, Gott, laß Rupe ihn finden, und zwar schnell. Ich weiß nicht mehr aus noch ein. Wenn er nun noch einen Schlaganfall erleidet? Oh Gott, laß ihn nicht sterben.«
Tränen liefen ihr übers Gesicht. Charlotte beugte sich nieder und benetzte ihre Augen mit dem kalten Flußwasser, damit er nicht merkte, daß sie geweint hatte. Ihr Kopf wurde dadurch wieder etwas klarer. Sie fühlte sich erfrischt, die Müdigkeit war
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