Sterne im Sand
doch zu einer Reaktion heraus. »Wo bist du so lange gewesen?« wollte sie wissen. Doch selbst bei diesen wenigen Worten brach sie in Tränen aus und wandte sich ab, als wolle sie weglaufen.
»Bleib hier, Moomabarrigah.« Seine Stimme klang nun klarer und sanfter. »Wenn du weinst, weine ich mit, aber den Grund dafür kenne ich nicht. Du mußt ihn mir sagen, damit ich weiß, wie groß mein Kummer sein muß.«
Er kletterte zu ihr hinauf und streckte hilfesuchend die Hand aus, so daß Minnie sie ergreifen mußte. Dann saß er geduldig neben ihr und sah aufs Wasser hinaus.
»Mein Junge Bobburah«, flüsterte Minnie, als sich ihr Schluchzen gelegt hatte. »Sie haben ihn mitgenommen.«
»Wer?«
»Die Betleute!« Zornig sah sie ihn an. »Du hättest hier sein müssen. Du hättest sie in Krähen verwandeln können. In zwei alte, schwarze Krähen!«
Angesichts dieser simplen Lösung mußte Moobuluk ein Lächeln unterdrücken, denn die Lage war offensichtlich ernst.
»Erzähl mir alles.«
Sie brach wieder in Tränen aus, doch die Geschichte enthüllte sich allmählich, trotz der Angst, Wut und Trauer, die sie erfüllten. Moobuluk war so betrübt, daß ihm ebenfalls Tränen über die ledrigen Wangen rannen. Minnie hatte recht. Er hätte da sein sollen. Er hatte die Stimmen im Wind, die ihn nach Hause riefen, unterschätzt. Wer aber hätte voraussehen können, daß diese friedlichen Menschen ein so furchtbares Unglück treffen würde?
»Warum wurdet ihr so bestraft? Was ist geschehen?«
»Das versuche ich dir doch die ganze Zeit zu sagen. Sie behaupten, es sei eine gute Sache. Sie haben unsere kleinen Jungen in die Schule geschickt. Wie ihre eigenen Söhne.«
»Aber sie sind doch noch so klein«, sagte Moobuluk.
Minnies Zorn flackerte erneut auf. »In dem Alter schicken sie
ihre
Kinder nicht weg. Sie sagen, unsere müßten so früh fort, damit sie Englisch lernen und in der Schule auch alles verstehen können. Ich hasse alle Weißen. Du mußt sie verzaubern, großer Daddy. Sag ihnen, wir wollen unsere Jungen zurückhaben.«
Er ließ sie die seltsame Geschichte mehrfach wiederholen, bis er die Ungeheuerlichkeit dieses Verbrechens erfaßt hatte. Moobuluk war sich bewußt, daß Moomabarrigah es aufgrund ihrer Kontakte zu den Weißen am besten erklären konnte. Und er sorgte sich um ihre aufbrausende Schwester Nioka. Minnie hatte erklärt, daß sie noch immer sehr aufgebracht sei. Wenn sie Unruhe stiftete, würde sich diese nicht so leicht wieder legen.
Außerdem begriff er, daß es hier zwei Probleme gab. Zunächst einmal hatten sie diese drei Jungen verschwinden lassen. Doch wie viele würden sie noch verlangen? Stellten diese besitzergreifenden Weißen etwa eine Gefahr für alle Kinder des Stammes dar? Er stöhnte auf. Hatten sie ihnen denn noch nicht genug angetan?
Moobuluk kehrte mit Minnie ins Lager zurück. Ruhig und scheinbar unbesorgt nahm er die aufgeregten Begrüßungen entgegen, suchte aber nach einer Unterredung mit Doombies Eltern Nioka auf.
Lange blieb er bei ihr sitzen, gab Ratschläge, bestand darauf, daß sie ihren Zorn in die Hände nahm und beiseite legte, bis sie Zeit zum Nachdenken gehabt hatte. Sie war ein schwieriges Mädchen, das selbst ihm gegenüber zum Schreien neigte, doch allmählich konnte er sie beruhigen.
An diesem Abend saß er mit den Ältesten des Clans am Lagerfeuer und lauschte ihrer Trauer.
»Kannst du uns helfen?« fragten sie ihn schließlich, doch seine Antwort fiel nicht eindeutig aus.
»Ich muß erst darüber nachdenken.«
Ihr Vater erholte sich nur langsam. Obwohl seit dem Schlaganfall mehr als zwei Wochen vergangen waren, fühlte sich Austin noch schwach. Sein erster Sitzversuch hatte nicht nur den Arzt bestürzt, sondern auch den Patienten erschreckt und dessen letzte Kräfte aufgezehrt. Er sah inzwischen ein, daß die Genesung länger auf sich warten lassen würde, was ihn jedoch nicht davon abhielt, tagtäglich seiner Ruhelosigkeit und Enttäuschung Luft zu machen.
Innerhalb der Familie herrschte die unausgesprochene Überzeugung, daß er weniger schwach wäre, wenn er sich ruhiger verhielte und auf seine Temperamentsausbrüche verzichtete, zu denen es unweigerlich kam, wenn Austin sich nicht verständlich machen konnte oder der Körper ihm den Dienst versagte. Charlotte hob mit endloser Geduld die Kissen und Decken auf, wenn er sie einmal mehr zu Boden geschleudert hatte; beim Füttern ließ sie sich von seiner Wut nicht beirren; sie brachte ihm Stifte und
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