Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
gestatten, mit größter Treue ihrem zutiefst empfundenen Beileid für den unersetzlichen Verlust Ausdruck zu verleihen, der dieses Jahr das ganze deutsche Volk und vor allem Eure Majestät ereilt hat.
Möge der allmächtige Gott Eurer Majestät eine gesegnete Herrschaft und ein langes Leben gewähren, wie es Seiner Majestät Kaiser Wilhelm I ., Eurer Majestät unvergesslichem Großvater in seligem Gedenken, vergönnt war.
Eure Majestät, seit Mitte Mai dieses Jahres befinde ich mich auf Sansibar, meiner Heimatinsel, in der Hoffnung, eine Versöhnung mit meinen Verwandten einerseits zu erwirken, und andererseits mein mir zustehendes Eigentum zurückzuerlangen, indem ich auf die Vorsehung und auf die moralische Unterstützung vertraute, die ich von Seiner Hoheit, dem Kanzler des Deutschen Reiches, erbat.
Unmittelbar nach meiner Ankunft hier richtete ich eine äußerst freundliche Bitte an den deutschen Generalkonsul, dass er die Güte besitzen möge, einen Brief an meinen Bruder Khalifa zu übersenden. Am nächsten Tag ließ mir der Generalkonsul selbigen Brief zurückbringen mit der Bemerkung, es gebe keinen offiziellen Grund, dem Sultan den Brief zu übergeben. Kurz darauf erfuhr ich von anderer Seite, dass der Generalkonsul Anweisung des Auswärtigen Amtes erhielt, nichts für mich und meine Sache zu tun. Mir ist in keinster Weise bewusst, aus welchem Grund ich seitens des Deutschen Reiches eine solche Maßnahme auf mich gezogen habe, die so außerordentlich schädlich für mich und für meine Zukunft ist.
Eure Majestät! Seit einundzwanzig Jahren bin ich nun Christin, war mit einem Deutschen verheiratet. Daher bin ich eine deutsche Untertanin und habe als solche das Recht, um Unterstützung durch den deutschen Stellvertreter zu bitten.
Muss ich nun sehen, wie die Prophezeiung meiner Verwandten vor so vielen Jahren wahr wird, nach der meine Mitgläubigen, die Christen, mich im Stich lassen sollten? Meine Verwandten, die mir freundlich zugeneigt sind, beginnen nun zu frohlocken und tun alles, um mich und meine Kinder zu meinem früheren Glauben zurückzubringen. Aber da ich einmal die Wahrheit des christlichen Glaubens erkannt habe, ist es mir unmöglich, diesen Glauben wieder aufzugeben.
Diejenigen, die aus mir wieder eine muslimische Frau machen wollen, würden dies gewiss nicht so nachdrücklich wagen, hätten sie gesehen, dass es die Christen gut mit uns meinen und unsunterstützen. Aber sie alle fühlen, dass ich auf mich allein gestellt bin, dass ich keinerlei Hilfe aus meiner neuen Heimat erhalte.
Ich wende mich an Eure Majestät nicht nur in Eurer Eigenschaft als deutscher Kaiser, sondern hauptsächlich, weil Er ein gläubiger Christ ist, der die unbeschränkte Macht besitzt, seine Untertanen überall uneingeschränkt zu beschützen und zu unterstützen, vor allem in einem Lande, in dem die Christenheit nicht in großem Ansehen steht.
Daher flehe ich Eure Majestät an, die großzügige Güte, die ich über Jahre von Eurer Majestät Großvater seligen Angedenkens genoss, für mich und meine Kinder allergnädigst beizubehalten und zu geruhen, den gegenwärtigen Stellvertreter des Deutschen Reiches anzuweisen, in meinem Namen mit dem Sultan zu sprechen.
Auf Gott und auf Eurer Majestät erhabene Großmütigkeit vertrauend, verbleibe ich Eurer Majestät demütigste Dienerin.
Emily Ruete, geborene Prinzessin von Oman und Sansibar
Doch Kaiser Wilhelm II. war nicht wie sein Großvater. Er dachte ebenso wenig daran, diesen Brief zu beantworten, wie Bismarck denjenigen, den Emily ihm wenige Tage später schrieb. Die Empfehlung von Kaiser und Kanzler lautete, nichts mehr zugunsten Frau Ruetes zu unternehmen, solange sie sich auf Sansibar aufhielt.
Die Akte Emily Ruete wurde ein für alle Mal geschlossen.
68
»Zamzam. Endlich. Nach so vielen Jahren.«
Emily schloss die nur wenig ältere Halbschwester unter Tränen in die Arme, spürte mit einem wehen Gefühl im Herzen, wie zerbrechlich deren Leib geworden war. Wie zusammengeschrumpft, die Knochen unter der dünnen Haut zart wie die eines Vogels. Als hätten die Jahre ihr wesentlich mehr zugesetzt.
»Salima, mein Mädchen.« Zamzam weinte, löste sich aus der Umarmung und fuhr Emily mit beiden Händen über das Gesicht. »So gern hätte ich dich gesehen, als du schon einmal auf Sansibar warst. Doch mein Gemahl – Allah sei seiner Seele gnädig – ließ es nicht zu. Einen Schreiber mit einem Brief an dich beauftragen konnt’ ich immer nur heimlich.«
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