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Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Titel: Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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hier zurecht, in europäischen Sitten und Gebräuchen erzogen, wie sie waren?
    Sie sollen nicht Fremde sein müssen so wie ich. Nie zwischen zwei Welten leben. Das wenigstens will ich ihnen ersparen.

    Die Stunde des Abschieds war gekommen. Und dieses Mal wusste sie, dass es ein Abschied für immer sein würde.
    Emily schlüpfte aus ihren Schuhen, raffte ihre Röcke und watete in das nächtliche Meer hinaus. Sanft umspülte es ihre Füße, die sie weit getragen hatten, um die halbe Welt, und das mehr als einmal. Viel hatte sie gesehen und noch mehr erlebt. Schönes und Schreckliches, sie hatte Freud und Leid bis zur Neige ausgekostet. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah hinauf zu den Sternen. Eines war gewiss: Nirgendwo waren die Sterne berückender als hier, über Sansibar.
    Den Kindern steht Deutschland noch immer offen. Anders ist es mit mir. Ich habe keine Heimat mehr auf dieser Erde. Sansibar ist nicht mehr, was es einst war. Alles liegt hinter mir.
    Einige Zeit stand sie so da, die Zehen tief im Sand vergraben. Als könnte sie hier Wurzeln schlagen. Und doch wusste sie, dass es vergeblich war. Sie hatte schon lange keine Wurzeln mehr.
    Wer ohne Wurzeln ist, findet keinen Halt, treibt umher wie ein Stück Holz, das von den Meereswogen herumgeschaukelt wird. Emily würde sich treiben lassen wie einsolches Stück Holz, sich niederlassen, wo es ihr gerade gefiel. Denn wer ohne Wurzeln ist, der ist auch frei zu gehen, wohin es ihm gefällt.
    So wie Emily.
    Sie drehte sich um und wanderte zurück an den Strand, ohne sich noch einmal umzuschauen.
    Leb wohl, Sansibar.
69
    Beirut, 1892

    Emily ging ans Fenster, entriegelte die Läden und öffnete sie weit.
    Unter ihr breitete sich die Stadt aus: würfelförmige Häuser in mattem Weiß und in hellem Gelb und Ocker, viele davon mit flachen Dächern, aber auch solche mit Walmdächern aus roten Ziegeln. Beinah jedes Haus nannte ein Gärtchen sein Eigen, und Zedern drängten sich an die Fassaden.
    Dahinter erstreckte sich das Mittelmeer, leuchtend in Grün und Blau und Türkis. Schiffe strebten dem Hafen zu; Schiffe wie das, das Emily heute hergebracht hatte.
    Sie hob den Blick noch höher, hin zu den lang gezogenen staubfarbenen Berghängen am Horizont. Auf denen im Winter sogar Schnee liegen würde.
    Ein Gesang hob an, gedehnt an- und abschwellend, lockend und beschwörend: der Ruf des Muezzins von den Minaretten der Stadt, der zum Mittagsgebet mahnte.
    Emily sog tief die Luft ein, die klar war und rein, mit einem Hauch von Salz und Stein und Holz.
    Jaffa, die kleine Hafenstadt in Palästina, war ihre erste Station gewesen nach ihrem endgültigen Abschied von Sansibar. Ohne Umwege; um ihre Möbel und die anderen Sachen inBerlin würde sie sich später kümmern. Auf Jaffa war ihre Wahl gefallen, weil sie wollte, dass ihre Töchter nicht ganz die Verbindung zu ihrem deutschen Erbe verloren. Und ein starkes deutsches Element gab es dort zweifellos, neben einem armenischen, französischen und englischen. Doch genauso stark war diese Stadt orientalisch geprägt; mit ihren engen Straßen, auf denen es geschäftig zuging, mit der Bauweise der Häuser und den bunten Märkten ähnelte es Sansibar verblüffend.
    Doch gerade das Deutsche an Jaffa war es, das sie schnell wieder die Flucht ergreifen ließ. Weil Tony, die eigentlich keine Lust gehabt hatte, so weit fortzuziehen, mit den Umzugsvorbereitungen säumte, hatten Emilys neue Nachbarn zu fragen begonnen, wo denn ihre Möbel blieben – und überhaupt, wo sie denn herstamme? Es war diese verhasste Frage, die Emily veranlasste, sofort wieder zu packen, kaum dass Tony mitsamt den wichtigsten Dingen eingetroffen war.
    Jerusalem hieß ihr nächstes Ziel, acht Stunden mit der Kutsche von Jaffa entfernt. In der uralten heiligen Stadt hoffte Emily, mit ihren Töchtern sesshaft zu werden, und doch war es ihr nicht gelungen. Vielleicht war Jerusalem für sie zu groß gewesen, zu überwältigend; zu wild die Mischung aus Christen, Muslimen, Juden. Vielleicht hatte ihr dort auch etwas gefehlt. Jedenfalls wurde Emily von der altbekannten Rastlosigkeit erfasst, die nach einem Ortswechsel verlangte.
    Und nun also Beirut.
    »Gefällt’s dir hier, Mama?« Tony war zu ihr getreten und schmiegte sich an sie, ließ schließlich das Kinn auf der Schulter ihrer Mutter ruhen.
    »Ja, Mama, was meinst du? Bleiben wir hier?« Rosa drückte sich ebenfalls an sie. »Vielleicht kann sich Said ja bald hierher versetzen lassen, dann sind wir alle

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