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Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Titel: Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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englische Herrschaft auf dem fernen indischen Subkontinent. Doch dass der süße Müßiggang, die wohlige Faulheit dieses Nachmittags nur Fassade war, genauso wie gestern und wie all die vergangenen Wochen, das wusste sie sehr wohl. Ein tägliches Atemschöpfen vor der nächsten unruhigen Nacht, ein Nachholen versäumten Schlafes, der in der Hitze gleichwohl meist nicht mehr war als ein leichtes Dösen.
    Sobald die Dunkelheit ihre tintenschwarzen Flügel über der Insel ausbreitete, schwärmten die Schatten aus: Späher und Lauscher, Kundschafter und Zuträger. Wer von den über Sansibar verstreut lebenden Geschwistern ein Auge auf ein besonders prächtiges Ross geworfen hatte, um fruchtbares Land feilschte oder prunkvolles Geschmeide erworben hatte – die Spitzel, die als vermummte Schemen Einlass begehrten, wussten es aus zuverlässiger Quelle und ließen sich gut dafür entlohnen. Mit französischen Louisdoren, alten englischen Guineen und neuen Sovereigns, mit silbernen Maria-Theresien-Talern und amerikanischen Gold-Eagles aus den Schatullen und Geldsäcken, die der verblichene Sultan seinen Nachkommen hinterlassen hatte. Noch höher im Preis gehandelt wurden Zeugnisse von Zusammenkünften unter den Geschwistern: wer sich in welchem Wortlaut abfällig oder bewundernd über Majid oder Barghash geäußert hatte und wer Beziehungen zu den Ausländern unterhielt oder gar ihre Lebensart nachzuahmen versuchte. Und sehr viel Geld wurde darauf verwendet, Geschwister in einem sich anbahnenden Geschäft auszustechen und mit dem Kauf noch kostbarerer Rösser, noch herrlicheren Geschmeides, noch feinerer Stoffe zu übertrumpfen. Immer mehr Gold und Silber floss durch die Risse im Flechtwerk der Blutsbande, dehnte sie zu Gräben aus, in denen es bereits geraume Zeit gärte.
    Steht es wahrhaftig schon so schlimm? Salimas Inneres schnürte sich zusammen, bis sie kaum mehr atmen konnte. Als reines Spiel, das die Trägheit der Tage aufpeitschte, hatte sie die nächtlichen Umtriebe in Beit il Tani betrachtet. Die Heimlichkeit, mit der die Spitzel im Schutz der Dunkelheit ein und aus gingen, war ihr ein Abglanz ungezügelter Kinderstreiche gewesen; die aufgeregte Erwartung dessen, was die Zuträger zu berichten hatten, ein Nachhall der wilden Ausritte und der Wettkämpfe gegen Hamdan. Es war jedoch kein Spiel gewesen, wie Salima nun zu ahnen begann. Kein Abenteuer, das den zuckrigen Brei eines satten Daseins würzte.
    Sondern bitterer Ernst.
    »Majid sieht nicht, welches Unheil er heraufbeschwört«, hörte sie ihre Schwester sagen. »Welchen Verrat er an seiner Familie und an Sansibar begeht.«
    Salima schmiegte ihre Wange tiefer in Choles weiche Handfläche. »Ich vermag das nicht zu glauben«, murmelte sie. »Doch nicht Majid – der gute Majid! Nicht unser Bruder!« Hilfe suchend sah sie ihre ältere Schwester an. Diese lächelte nachsichtig und streichelte Salima über das Haar und über das Gesicht.
    »Ja, der gute Majid … Ich zweifle nicht an seinen hehren Absichten. Doch er steht unter dem Einfluss schlechter Ratgeber, und er ist zu schwach, um sich dem Locken und Drängen der machthungrigen Engländer zu widersetzen. Meine Sorge gilt auch ihm. Was, wenn sein Leib ihm den Dienst versagt? Was, wenn er Hilals Schicksal erleidet?«
    Salima kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. Hilal, einer ihrer ältesten Halbbrüder, war von Jugend an fasziniert gewesen von den Sitten und Bräuchen der Engländer und der Franzosen auf Sansibar. In ihren Häusern hatte er berauschende Getränke kennengelernt, von denen er bald nicht mehr lassen konnte und denen er schließlich gänzlich verfiel. VomVater enterbt, schließlich in die Verbannung geschickt, war er in seinem Exil in Aden vor der Zeit verstorben, vom Gift des Rausches zu einer lallenden, geistig verwirrten Leibesruine zerfressen. Salima war damals zu klein gewesen, um sich an Hilal zu erinnern, doch seine Geschichte wurde auf Sansibar bis heute erzählt – als Mahnung, im Umgang mit den Ausländern stets Vorsicht walten zu lassen. Und selbst mit viel gutem Willen ließ sich nicht darüber hinwegsehen, dass die jahrelangen Attacken der Fallsucht ihren Tribut von Majid einzufordern begannen.
    »Hast du die Schatten unter seinen Augen nicht bemerkt?« Choles Stimme drang behutsam in Salimas Gedanken. »Wie seine Hautfarbe ins Grau spielt und wie schleppend er spricht?«
    Salima nickte zögernd, und Angst um den geliebten Bruder überfiel sie. Ich will nicht auch noch Majid

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