Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga
Hühnerfrikassee nach dem anderen zum Mund, obwohl seine Frau den Blick auf ihn geheftet hatte.
»Und was ist mit deiner Bewerbung?«, fragte er schließlich kühl, ohne seine Tochter anzuschauen.
Ricarda ahnte, dass einige seiner Kollegen oder vielleicht sogar der Professor sich befremdet über den Plan seiner Tochter geäußert hatten.
»Ich werde sie natürlich nicht zurückziehen«, entgegnete Ricarda. »Wenn Professor Gerhardt sie ablehnt, werde ich mich seiner Entscheidung beugen. Aber ich will es wenigstens versucht haben. Das bin ich der Familientradition schuldig. Heiraten und Kinder bekommen kann ich immer noch. Wenn auch nur ein Funke von dem Vater, den ich früher kannte, in dir ist, wirst du das verstehen.«
Der Vater sah Ricarda für einen Moment entgeistert an, doch anstatt erneut aufzuspringen, blieb er sitzen und wandte sich nach einer Weile wieder seiner Mahlzeit zu.
Ricarda spürte, dass er für ihre Argumente kein Verständnis aufbrachte. Vielleicht hatte er bereits dafür gesorgt, dass ihre Bewerbung scheitern würde. Aber das musste sie abwarten.
6
Bis zum Weihnachtsball herrschte Waffenstillstand im Hause Bensdorf. Auseinandersetzungen beim Abendessen unterblieben, weil man sich hartnäckig anschwieg. Nach außen hin spielte man den Leuten eine heile Welt vor.
Um sich zu zerstreuen und vor allem, um passend für den Ball gekleidet zu sein, ließ ihre Mutter die Schneiderin kommen und sich ein neues Kleid anfertigen. Als der große Tag schließlich da war, verbrachte sie die meiste Zeit mit Rosa in ihrem Ankleidezimmer.
Heinrich Bensdorf hatte noch Patienten zu versorgen, aber Ricarda war sicher, dass seine Garderobe nicht darunter leiden würde.
Schließlich rückten die Zeiger auf kurz vor sieben Uhr. Der Ball würde erst um acht beginnen, aber die Bensdorfs waren als pünktlich bekannt.
Ricarda betrachtete sich im Spiegel und fragte sich, was sie tun könne, damit keiner der jungen Ärztesöhne, die sie zweifellos auf dem Ball hofieren würden, in ihr die ideale Gattin sähen. Reichte es aus, zu erwähnen, dass sie studiert hatte? Oder musste sie als zusätzliches Geschütz auffahren, dass sie mit den Frauenrechtlerinnen sympathisierte?
Nein, sie durfte den Bogen nicht überspannen. In der Stimmung, in der ihre Eltern sich befanden, würden sie sie wahrscheinlich ohnehin mit dem Erstbesten verloben, der sich ernsthaft für ihre Tochter interessierte. Ricarda betrachtete es als ihre Pflicht, diesen Abend in einen Triumph für sich und alle Frauen zu verwandeln, die mehr als nur Anhängsel der Männer sein wollten.
Sie trug ein schlichtes, aber dennoch stilvolles Kleid aus cremefarbenem Satin, das mit kleinen Perlen bestickt war. Auch ihre Frisur war nicht ausladend. Sie hatte die Haare im Nacken zusammengesteckt bis auf einige lockige Strähnen, die ihr Gesicht schmeichelhaft umspielten. Außer einem Hauch Puder hatte sie keinerlei Schminke aufgetragen, denn ihre Haut war noch immer jugendlich zart.
Sie schlüpfte in die Handschuhe, die bis zu den Ellenbogen reichten und dieselbe Farbe wie das Kleid hatten. Dann warf sie ihr Abendcape über und verließ das Zimmer.
Ihre Eltern erwarteten sie bereits. Ihr Vater trug einen Frack mit Kummerbund und tadellos gestärktem Hemd. Das Kleid ihrer Mutter war bereits unter einem pelzverbrämten Kamelhaarmantel verborgen, doch am Saum blitzte ein wenig türkisfarbene Seide hervor. Sie hatte um ihre Robe ein großes Geheimnis gemacht, das hatte Ricarda mitbekommen, obwohl sie sich wirklich nicht für Mode interessierte. Aus dem Alter, in dem sie die Kleider ihrer Mutter zu tragen wünschte, war sie endgültig heraus.
Ihr Vater musterte sie prüfend. Die Miene ihrer Mutter verriet eine leichte Unzufriedenheit. Wahrscheinlich hätte Susanne ihre Tochter zu gern stärker herausgeputzt gesehen, denn es durfte unter keinen Umständen der Eindruck entstehen, dass die finanziellen Mittel der Familie dazu nicht ausreichten. Da nun keine Zeit mehr fürs Umziehen blieb, hakte sie sich schließlich bei ihrem Mann ein, und gemeinsam verließen alle das Haus.
Johann wartete draußen mit der Kutsche auf sie. Die Luft war von Nieselregen durchsetzt, der jegliche Lockenpracht, die mittels Brennschere geschaffen worden war, zunichtemachen würde. Glücklicherweise hatte Ricarda solche Gerätschaften nicht nötig.
Die Fahrt ging zur Charite, deren Speisesaal als Ballsaal diente. Sämtliche Ärzte wurden dort mit Freunden und Familienangehörigen
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