Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga
Augenschein genommen, aber es gehörte sich auch an diesem Ende der Welt nicht, Menschen anzustarren. Außerdem: Wie würden die Maori selbst darüber denken? Die Neugierde der Passanten löste bei ihnen offensichtlich Unbehagen aus, und Ricarda wollte sie auf keinen Fall verärgern, denn sie hatte noch immer Mollys Beschreibung im Ohr.
Aber wenn sie die Versammelten schon nicht anstarren durfte, wollte sie wenigstens ihrer klangvollen Sprache lauschen, die voller Vokale war. Ricarda fand nicht den geringsten Hinweis darauf, worüber sie redeten. Während sie langsam die Treppe zum Governement Building emporstieg, fiel ihr wieder ein, dass Molly das Gemüse hua whenua genannt hatte. Diese Sprache würde ich zu gern lernen, dachte sie.
Kaum war Ricarda vor dem Portal angekommen, öffnete es sich einen Spalt. »Wollen Sie hier rein, Miss?«, fragte ein junger Mann und trat zurück, um sie einzulassen.
Ob er die Maori durchs Fenster beobachtet und mich dabei bemerkt hat?, fragte Ricarda sich. »Ja, danke, ich möchte zum Bürgermeister«, antwortete sie und fühlte sich unbehaglich dabei. Immerhin waren die Eingeborenen vor ihr da gewesen.
»Kommen Sie!«, sagte der Bursche und schloss die Tür hastig hinter ihr.
»Was wollen die Männer da draußen?«
»Das sind Wilde, Miss, Maori. Sie wollen den Bürgermeister wieder wegen irgendwas sprechen. Meistens kommen sie, um sich zu beschweren.«
»Haben sie denn Grund dazu?« Ricarda missfiel die herablassende Art des jungen Mannes. Immerhin lebten die Maori bereits viel länger in diesem Land. Was gab den Einwanderern also das Recht, auf sie herabzusehen? Sie hütete sich allerdings, diese Ansicht zu äußern.
Der Bursche blieb ihr die Antwort schuldig. »Hier entlang, Miss«, sagte er nur und führte sie durch einen Korridor. Vor einer hohen Flügeltür machten sie schließlich Halt.
»Wen darf ich Mr Clarke denn bitte melden?«
Ricarda nannte ihren Namen und setzte hinzu, dass sie aus Deutschland stamme. Den Grund ihres Besuchs verschwieg sie ihm, denn sie wollte nicht Gefahr laufen, sofort abgewimmelt zu werden.
Der junge Mann klopfte und verschwand im Büro des Bürgermeisters. Ricarda hörte Stimmen, und wenig später schwang die Tür auf.
»Mr Clarke erwartet Sie, Miss Bensdorf.« Damit verabschiedete der junge Mann sich.
Ricarda vermutete, dass er wieder ans Fenster der Eingangshalle zurückkehren würde und dort darauf achtete, dass kein Maori das Gebäude betrat.
Charles Augustus Clarke war ein Mann mittleren Alters, dessen Haar noch bemerkenswert dunkel und dicht war, obwohl er bereits Geheimratsecken hatte. Er trug einen gepflegten grauen Anzug und besaß die Ausstrahlung eines typisch englischen Gentlemans.
»Miss Bensdorf«, sagte er und erhob sich hinter seinem Schreibtisch. Ein überraschter Blick streifte ihr Kleid.
»Mr Clarke.« Ricarda ging geradewegs auf ihn zu und reichte ihm die Hand. »Vielen Dank, dass Sie mich empfangen haben.«
»Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen.« Er ergriff ihre Hand und deutete einen Kuss an, bevor er sie bat, sich zu setzen.
Der Stuhl gab ein leichtes Knarren von sich, und das, obwohl sie ein Leichtgewicht war. Ricarda war den ganzen Vormittag über voller Entschlossenheit gewesen, doch nun überkam sie die Aufregung. Würde sie es schaffen, den Bürgermeister von sich zu überzeugen? Würde er ihr die Erlaubnis erteilen, in Tauranga eine Praxis zu eröffnen? Mollys Hinweis, dass die Leute sich lieber zu Hause verarzten ließen, als sich ins Hospital zu begeben, konnte vielleicht hilfreich sein. Außerdem wollte sie in der Frauenheilkunde tätig sein, einem Fachgebiet, bei dem sie Doherty schon dank ihrer Geschlechtszugehörigkeit zumindest einiges voraushatte.
»Nun, was führt Sie zu mir, Miss Bensdorf?«, fragte Clarke jovial, nachdem er wieder Platz genommen hatte. »Es passiert nicht häufig, dass ich so bezaubernden Besuch begrüßen darf.«
Ricarda setzte ein geschmeicheltes Lächeln auf, aber nur, weil es sich als nützlich erweisen könnte, wenn ihr Gegenüber Sympathie für sie hegte. Im Grunde genommen verabscheute sie solch ein Getue. Und sich einen Gefallen mit Schmeicheleien und übertriebenem Lächeln zu erkaufen war eigentlich gar nicht ihre Art. Aber von der Entscheidung des Bürgermeisters hing ihre Zukunft ab, und die wollte sie nicht durch Schroffheit aufs Spiel setzen.
»Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar, Herr Bürgermeister, dass Sie sich Zeit für mich nehmen. Mein
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