Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga
erhalten haben, werde ich Sie noch einmal anhören. So lange werden Sie sich gedulden müssen.« Er erhob sich und ging mit raschen Schritten zur Tür.
Das hieß wohl nichts anderes, als dass sie sein Büro verlassen solle. Ricarda seufzte. Dass in diesem Land Frauen zur Wahl gehen konnten, bedeutete offenbar noch lange nicht, dass man ihnen auch andere Rechte zugestand. Sie erhob sich, strich ihr Kleid glatt und folgte ihm.
Clarke öffnete einen Türflügel. »Guten Tag, Miss Bensdorf.«
Ricarda erwiderte den Gruß des Bürgermeisters, und die Tür fiel hinter ihr ins Schloss.
Mit den Unterlagen in der Hand stürmte sie schließlich auf die Straße. In ihrem Inneren kochte es. Es würde sicher Wochen dauern, bis über das Einwanderungsgesuch entschieden war. Das bedeutete wochenlanges Herumsitzen und Däumchendrehen, gequält von Ungewissheit. Was war, wenn sie eine Ablehnung erhielt? Dieser Gedanke machte ihr plötzlich Angst. Und selbst wenn sie eingebürgert war, würde sie das gleiche Gespräch noch einmal führen müssen. Clarke würde ihr in seinen Augen törichtes Ansinnen in seinem Club breittreten, es würde sich zu Doherty herumsprechen, der daraufhin sein Recht geltend machen würde. Da er hier bereits ansässig war, würde der Bürgermeister seinen Einwänden stattgeben, und dann würde ihr nur die Abreise aus Tauranga bleiben. Und in anderen Orten sah es gewiss nicht anders aus.
In ihrer Wut bemerkte sie gar nicht, dass die Maori inzwischen abgezogen waren. Sie lief die Treppe hinunter und starrte mit brennenden Augen auf die Formulare.
»Auf ein Wort, Miss!«
Als Ricarda sich nach der unbekannten Stimme umwandte, blickte sie in das Gesicht einer Frau, die sie auf Mitte dreißig schätzte. Sie trug ein rosafarbenes Kleid mit zahlreichen Spitzen und Schleifen, dazu einen passenden Hut auf ihrer Lockenpracht. Auf der unbefestigten Straße wirkte sie beinahe so deplatziert wie die Maorikrieger.
»Sie sind also die Dame, von der die ganze Stadt spricht.« Die Unbekannte betrachtete Ricarda neugierig.
Ricarda brauchte einen Moment, um ihre Überraschung zu verdauen. Hatten die Schaulustigen gestern vor der Pension die Geschichte so schnell verbreitet? Und sogar in den hohen Kreisen, denen diese Frau angehörte - jedenfalls nach ihrer Kleidung zu urteilen. »Mit wem habe ich das Vergnügen?«, fragte sie schließlich.
»Mein Name ist Mary Cantrell. Der sagt Ihnen wahrscheinlich nichts, aber wir beide haben doch mehr gemeinsam, als Sie vielleicht vermuten.«
Ricarda unterdrückte ihre Neugier. Sie wollte nicht unhöflich sein. »Mein Name ist Ricarda Bensdorf, ich bin erst kürzlich aus Deutschland hergekommen.«
»Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Die Frau neigte den Kopf und fügte hinzu: »Man sagt, dass Sie Ärztin sind.«
»Das bin ich.«
Mary Cantrells rechte Augenbraue hob sich und beschrieb einen perfekten Bogen über ihrem Auge. »Ist es den deutschen Frauen jetzt gestattet zu studieren, oder haben Sie Ihr Studium im Ausland absolviert?«
»In Zürich.«
»Und in Deutschland hat man Ihnen dann keine Arbeit gegeben.«
Offenbar wusste sie sehr gut Bescheid, was die Frauenrechte in Deutschland anging.
»Nein, meine Bewerbung wurde abgelehnt.«
»Und nun wollen Sie hier eine Praxis eröffnen, nehme ich an.«
Ricarda wusste nicht, ob sie über die Direktheit dieser Frau empört oder erleichtert sein sollte.
»Das möchte ich in der Tat.«
»Aus diesem Grund waren Sie vermutlich gerade beim Bürgermeister, nicht wahr?« Bevor Ricarda antworten konnte, fügte sie rasch hinzu: »Halten Sie mich bitte nicht für aufdringlich, Miss Bensdorf. Ich bin nur neugierig und gewillt, Ihnen Hilfe anzubieten.«
»Aus welchem Grund?«
»Sagen wir es mal so, ich bin das, was man in Amerika wohl eine ›Suffragette‹ nennen würde.«
»So nennt man die Damen auch in Deutschland.«
»Natürlich mögen Sie sich fragen, wie das zusammengeht: mit einem Stadtrat verheiratet zu sein und für die Rechte der Frauen zu kämpfen.«
Das fragte sich Ricarda nicht. »Ich habe gehört, dass es den Neuseeländerinnen gestattet sein soll zu wählen.«
»Das ist richtig. Dennoch gibt es noch immer sehr viele Beschränkungen, die eine Frau hier erdulden muss. Und nicht nur das.« Mary Cantrell streckte den Arm aus und wies in die Runde.
»Diese Stadt, so fortschrittlich sie auch erscheinen mag, ist immer noch ein rückständiger Ort, in dem die Männer Vorrechte besitzen und sich einiges
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