Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga
leisten. Außerdem ziehen es viele Schwerkranke vor, zu Hause zu sterben. Mein seliger George ist auch nicht ins Hospital gegangen, er wusste ja, dass man ihm dort ohnehin nicht helfen kann. Sie müssen wissen, die Leute hier sind sehr robust. Sie haben schon einiges mitgemacht, wenn sie sich hier niederlassen.«
»Kein Wunder, dass das Hospital so leer war«, bemerkte Ricarda.
»Es werden ganz sicher Patienten da gewesen sein, aber dafür hat Doherty seine Schwestern. Eine von denen brüstet sich damit, bei Florence Nightingale gelernt zu haben.«
Dass ihre Wirtin mit diesem Namen etwas anzufangen wusste, verwunderte Ricarda ein wenig. Aber wahrscheinlich hatte sie in ihrer Londoner Zeit von der berühmten Krankenpflegerin gehört.
Molly goss ihr Kaffee ein und stellte einen Korb voller Rosinenbrötchen auf den Tisch. Diese erinnerten Ricarda an die Brötchen, die Ella gebacken hatte, und schon schlich sich das Heimweh an. Doch um es zu vertreiben, musste sie nur wieder an ihre Eltern denken und an den Bräutigam, den sie für ihre Tochter ausgesucht hatten.
»Die Trauben für die Rosinen werden übrigens hier auf der Insel angebaut«, erklärte Molly mit stolzer Stimme. »Ein paar eingewanderte Franzosen haben in Auckland ein Weingut aufgebaut. Noch werden sie von anderen Farmern belächelt, aber ihr Wein und die Rosinen sind gut. Und vor allem billiger, als die aus Europa zu importieren. Einmal im Jahr fahre ich dorthin, um mich mit allem einzudecken, was ich hier brauche. Sollten Sie also einen guten Tropfen benötigen, dann sagen Sie mir Bescheid. Ihr Wein ist nicht nur wohlschmeckend, sondern kann einem ganz schön die Füße weghauen.«
Den hätte sie mir gestern Abend anbieten sollen, dachte Ricarda. Da hätte ich einen kleinen Rausch gut gebrauchen können. Aber jetzt musste sie einen klaren Kopf behalten.
»Und dieser Jack Manzoni ... Ist der auch Farmer?«, fragte sie, während sie eines der Brötchen aufschnitt.
»Der Mann, der Ihnen gestern seinen Wagen angeboten hat?«, fragte Molly zurück.
»Ja, den meine ich.«
Zu den Brötchen gesellte sich nun noch eine Schale Brei und ein Glas Honig.
»Porridge«, erklärte die Pensionswirtin auf Ricardas fragenden Blick hin. »Das beste, was es hier in der Gegend gibt.«
Ricarda hatte Haferbrei noch nie etwas abgewinnen können, auch nicht auf dem Schiff, wo es des Öfteren welchen zum Frühstück gegeben hatte. Auch dieses gräuliche Mus betrachtete sie skeptisch.
»So, so, er hat also Eindruck auf Sie gemacht ...« Molly grinste.
Ricarda spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. »Es war nur so eine Frage ...«
»Na, na, Kindchen, mir machen Sie so leicht nichts vor! Es gibt in der gesamten Stadt kaum eine Frau, die nicht für Jack Manzoni schwärmt. Aber Sie können mir glauben, er ist ein ziemlich harter Brocken. Früher war er mal verlobt - mit einer bildschönen Engländerin. Leider starb sie noch vor der Hochzeit, und ihr Vater hat darauf bestanden, sie in England zu bestatten, in der Familiengruft. So ist dem armen Kerl nicht mal ein Grab zum Trauern geblieben.« Molly hielt inne, als wolle sie Ricarda Gelegenheit geben, das Gesagte zu verdauen. »Danach hatte er wechselnde Affären, aber keine der Frauen hat es an seine Seite geschafft«, fuhr sie schließlich fort. »Er ist ein eingefleischter Junggeselle, und eine Frau muss schon etwas mehr als ein hübsches Gesicht mitbringen, um ihn auf die Dauer zu interessieren.«
Ricardas Wangen glühten regelrecht, was Molly nicht entging.
»Er züchtet Schafe und besitzt eine der größten Farmen vor der Stadt. Einige verschreien ihn als Freund der Wilden, weil er mit den Maori verkehrt. Er hat Feinde in der Stadt, aber die wagen es höchstens, hinter seinem Rücken über ihn zu reden. Sein Vater war nämlich angeblich Kunstschütze in einem Zirkus, bevor er hier mit dem Aufbau der Farm begann. Manzoni soll von ihm gelernt haben, wie man mit der Waffe umgeht. Sie können sich vorstellen, dass niemand, der an seinem Leben hängt, eine Auseinandersetzung mit Manzoni riskiert. Ansonsten gibt es nicht viel über ihn zu sagen.«
Ricarda glich die Worte mit dem, was sie erlebt hatte, ab. Schüchtern war Manzoni nicht, aber er war auch nicht aufdringlich. Er schien Humor zu besitzen, eine Eigenschaft, die sie sehr schätzte. Und allein sein Aussehen würde selbst die Damen in den Berliner Salons dazu bewegen, in seiner Gegenwart ein Taschentuch nach dem anderen fallen zu lassen.
»Vielen Dank,
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