Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga
im Notfall auch die Wool Company dazu bringen könnte, seine Wolle anzunehmen. Dann musste er sich eingestehen, dass der Gedanke nicht mal so abwegig war. Doch obgleich er gute Beziehungen zu den Cantrells unterhielt, hatte Jack sie noch nie um Hilfe gebeten und auch nicht den Anschein erweckt, dass er ihren Beistand benötige. Manchmal reichte das allein, um Mary und John dazu zu bringen, etwas zu unternehmen.
»Wenn das so ist, werde ich gern dabei sein, Mrs Cantrell. Bis zum Wochenende dürfte die Schur gelaufen sein, und es kann nicht schaden, ein wenig zu feiern, bevor die Verhandlungen mit der Wool Company beginnen.«
»Das sehe ich genauso!« Marys Augen strahlten wie die eines Mädchens, das gerade die ersehnte Puppe erhalten hatte. »Dann werde ich Sie auf die Gästeliste setzen. Ich verspreche Ihnen, der Abend wird in vielerlei Hinsicht überraschend für Sie werden.«
Damit verabschiedete sie sich von ihm und stieg in ihre Kutsche, die auf der anderen Straßenseite wartete.
Jack blickte ihr ein wenig verwundert nach. Empfänge bei den Cantrells fanden niemals zufällig statt; es gab immer einen guten Grund dafür. Hatte ihr Mann etwas zu feiern?
Wie dem auch sei, jetzt, wo er ihre zuweilen etwas anstrengende Stimme nicht mehr im Ohr hatte, gefiel ihm der Gedanke, mal wieder unter Leute zu kommen, immer besser.
Preston Doherty war eigentlich gleichgültig, was man von ihm dachte. Früher oder später war schließlich jeder auf seine Hilfe angewiesen. Aber die Sache mit dieser Bensdorf gab ihm doch zu denken. Nicht dass er um die Gesundheit des Freudenmädchens fürchtete, das sie ihm angeschleppt hatte. Aber sollte die Kleine irgendwelche Folgeschäden davontragen, konnte diese Möchtegernkollegin das womöglich gegen ihn verwenden. Das vergällte ihm ein wenig den Genuss seines Fünf-Uhr-Tees.
In diesem Moment rollte ein Wagen in die Einfahrt. Doherty blickte aus dem Fenster seines Arbeitszimmers und erkannte auf dem Kutschbock Ed Banks, Bordens Stallburschen; er ahnte bereits, wer auf der Ladefläche lag. Merkwürdig, dachte er. Sollte ich Borden falsch eingeschätzt haben? Oder hat das wieder die Bensdorf eingefädelt? Doch er drängte den Gedanken beiseite. Noch hatte er nicht gehört, dass sie praktizierte, und er würde schon dafür sorgen, dass ihr das nicht gelang.
Er ließ seinen Tee stehen und ging nach unten, wo bereits Clothilde und Janet bereitstanden, um das Mädchen zu empfangen.
»Tag, Doktor«, begrüßte ihn der Stallbursche, der das Mädchen stützte. »Bring ihnen die Kleine vorbei - nur für alle Fälle.«
Doherty wies Mary an, einen Rollstuhl zu holen, und ungeachtet des schmerzverzerrten Gesichts der Patientin schob die Schwester sie in das Untersuchungszimmer. Der Stalljunge ließ sich im Wartezimmer auf einen Stuhl fallen.
Als Emma Cooper sich auf der Liege ausstrecken sollte, stöhnte sie auf. Doherty schob ihr Unterkleid hoch, nahm ihr den Verband, der mittlerweile ganz gelb vom Schweiß war, ab und ertastete ihre Rippen. Offenbar drohte eine davon falsch zu verwachsen. Er fluchte innerlich. Verdammt! Sollte diese Bensdorf auch noch Recht bekommen? Frauenzimmer wie diese Cooper strengten in der Regel keine Klagen wegen falscher Behandlung an, dennoch spürte er einen Knoten im Magen. Wenn alle Welt bemerkte, dass die Hure krumm oder unter Schmerzen lief, würde es auf ihn zurückfallen. Immerhin hatte er sich ja stark gemacht, sie zu behandeln. Und er hatte sie aus dem Hospital entlassen.
»Wo ist die Ärztin?«, fragte Emma Cooper, nachdem sie die Untersuchung eine Weile über sich ergehen ließ. »Ich will, dass sie mich untersucht.«
»Hier gibt es nur einen Arzt, und der bin ich«, erklärte er ihr so freundlich wie möglich. »Ich werde Ihnen ein spezielles Korsett verschreiben«, sagte Doherty, denn er war nicht willens, das Thema zu vertiefen.
Eigentlich hätte er das Mädchen in der Klinik behalten und in ein Gipsbett packen müssen, aber er wusste, dass Borden nicht bereit war, das zu honorieren.
Emma Cooper sah ihn immer noch fragend an.
»Gut, Miss Cooper, das war's fürs Erste. Richten Sie bitte Ihrem Boss aus, dass ich Sie nächste Woche noch einmal untersuchen möchte!«
»Aber ich kann kein Korsett bezahlen.«
»Ich bin sicher, dass Mr Borden die Kosten übernehmen wird«, entgegnete der Arzt und war schon bei seiner Karbolschüssel, um sich die Hände abzuschrubben. »Ohne das Korsett werden Sie krumm, meine Liebe, und dann werden Sie ihm
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