Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga
nichts mehr einbringen.«
Emma presste die Lippen zusammen und senkte den Blick. Sie wusste nur zu gut, wie es um Bordens Großzügigkeit bestellt war. Wahrscheinlich würde die Verordnung für das Korsett im Feuer landen und er würde sie in ihrem Bett verrotten lassen.
Sollte Doherty das ahnen, ignorierte er es. Er verließ das Sprechzimmer und rief den Stallburschen, der das Mädchen wieder auf den Wagen verfrachten sollte.
Der junge Mann wartete an der Tür, während Doherty die Anweisung für den Schuhmacher aufsetzte, der auch Stützkorsetts nach ärztlichen Vorgaben anfertigte. »Ich schätze mal, dass Sie demnächst Konkurrenz kriegen werden, Doc«, warf er ganz beiläufig in den Raum. »Ich hab heut so was läuten hören.«
Augenblicklich schnellte Dohertys Kopf nach oben.
»Konkurrenz?« Er wollte sich seine Überraschung nicht anmerken lassen, aber das gelang ihm nicht.
Der Stallbursche registrierte das mit einem zufriedenen Lächeln, und er fragte sich, ob er nicht diskret die Hand aufhalten sollte. Da sein Boss dem Doktor vermutlich noch Geld schuldete, verzichtete er jedoch lieber darauf.
»Ja, es wird bald eine Ärztin in der Stadt geben. Angeblich war sie mit Mary Cantrell beim Bürgermeister, und als sie sein Büro wieder verließen, hatte das Fräulein Doktor die Erlaubnis für eine Praxis in der Tasche.«
Doherty umklammerte den Füllhalter so fest, dass er leise knarzte. Das war doch nicht möglich!
»Und wenn schon«, entgegnete er, bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, dass er innerlich kochte. »Ich denke nicht, dass ich vor ihr Angst haben muss. Die Menschen hier wissen meine Dienste zu schätzen.«
»Wenn Sie das sagen, Doc.«
Der Stallbursche grinste, und in seinen Augen meinte Doherty zu lesen, dass es ihm ganz sicher an den Kragen gehen würde. Aber das würde er nicht zulassen.
7
Obwohl Ricarda noch nie eine Freundin von Empfängen und Bällen gewesen war, sah sie der Einladung von Mary mit einer gewissen Freude entgegen. Sie hoffte, auf dem Empfang Jack Manzoni wiederzusehen. Mary hatte zwar bislang noch kein einziges Wort über ihn verloren, aber Ricarda zweifelte nicht daran, dass der Schafzüchter zum Bekanntenkreis der Cantrells zählte.
Unschlüssig stand sie vor ihrem nahezu leeren Kleiderschrank, bedauernd, dass sie nicht mehr Sachen aus Berlin hatte mitnehmen können. In dem grünen Kleid und dem schwarz-weißen Kostüm hatte er sie schon gesehen. Letzteres eignete sich außerdem nicht für einen Ball. Das silbergraue Reisekostüm kam ebenfalls nicht in Frage, und in Rock und Bluse wollte sie dort auch nicht aufkreuzen. Das war vielleicht der rechte Aufzug, um in der Praxis zu arbeiten, aber nicht, um sich der Gesellschaft von Tauranga vorzustellen. Sie entschied sich deshalb für die blaue Seidenrobe. Einen Moment erwog sie, ihren Mantel darüberzuziehen, aber selbst die Abende waren in Tauranga recht mild.
Nachdem sie noch einen prüfenden Blick in den Spiegel geworfen hatte, verließ Ricarda die Pension und begab sich zu Fuß in die Willow Street. Angesichts der zahlreichen Fuhrwerke, die bereits dort standen, fühlte sie sich plötzlich wie Aschenputtel, das sich in goldenen Schuhen zum Ball schleicht.
Die Blicke einiger Gäste, die gerade aus ihren Kutschen stiegen, folgten ihr. Ricarda ließ sich davon jedoch nicht beirren. Sie schritt die Treppe empor und trat durch die offen stehende Eingangstür.
Dort wurde sie von Marys Butler begrüßt, der sich offenbar ihr Gesicht gemerkt hatte. »Herzlich willkommen, Fräulein Doktor!«
»Danke sehr.« Ricarda signalisierte ihm, dass sie nichts hatte, was er ihr abnehmen müsse, lockerte das Tuch um ihre Schultern ein wenig und schritt voran, um Platz für die nächsten Gäste zu machen.
»Ricarda!« Mary kam ihr wie eine alte Freundin mit ausgebreiteten Armen entgegen. Dabei funkelte das Armband an ihrem rechten Handgelenk wie die Oberfläche eines Sees im Sonnenschein. Ehe es sich Ricarda versah, umarmte Mary sie und zog sie am Arm fort. Ihre prächtige Seidenrobe knisterte.
Was für ein hinreißendes Kleid!, dachte Ricarda beinahe neidisch und fühlte sich einmal mehr wie Aschenputtel. Es hat bestimmt ein Vermögen gekostet. Aber die Cantrells können es sich offenbar leisten zu glänzen.
Zigarrenrauch und das Aroma verschiedener Duftwässerchen und Pomaden schlug ihnen im Salon entgegen. Ricarda fiel auf, dass der Großteil der Gäste Männer waren; die meisten hatten silbrige Strähnen im Haar oder
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