Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga
Silberwasser, das allerdings sehr schwer zu beschaffen war. Ricarda bezweifelte, dass es das hier gab. Und selbst wenn, war es noch die Frage, ob die Frau das Medikament vertragen und es bei ihr anschlagen würde.
»Seit wann haben Sie die Beschwerden?«, fragte sie.
»Sie meinen die Schmerzen?«
Ricarda nickte. »Die Schmerzen und den Ausschlag.«
Die Frau wurde blass. »Seit 'n paar Tagen. Ich dachte es, es ist das monatliche Übel, doch das war's nich'. Die Schmerzen gehen nich' weg, also dacht ich mir, ich muss damit mal zum Arzt. Aber zu Doktor Doherty hab ich mich nich' getraut ... Was is' bloß mit mir, Fräulein Doktor?«
Ricarda atmete tief durch. Eine Diagnose zu stellen war eine Sache. Einer Patientin mitzuteilen, dass sie an einer Krankheit leidet, die unter Umständen chronisch werden und zum Tod führen kann, bedeutete hingegen eine weitaus größere Herausforderung, vor allem wenn diese Erkrankung ohnehin mit einem Tabu behaftet war.
»Geht ihr Mann hin und wieder ins Freudenhaus?«, fragte Ricarda.
Schlagartig errötete die Frau. »Warum woll'n Sie das wissen?«, fragte sie und richtete sich auf.
Wahrscheinlich bedauerte sie diesen Arztbesuch bereits. Da die Untersuchung abgeschlossen war, ließ Ricarda sie gewähren.
»Ich vermute, er hat Sie mit Gonorrhoe angesteckt. Schon mal von dieser Krankheit gehört?«
Schlagartig verschwand die Röte aus dem Gesicht der Frau; sie wurde bleich wie ein Laken.
»Ich nehme an, dass Sie Ihrem Ehegatten nicht untreu geworden sind. Oder irre ich mich?«
»Das geht Sie gar nichts an!«
»Doch, Mrs Simmons; denn ich muss den Menschen finden, der Sie infiziert hat. Nur wenn ich die Quelle der Gonorrhoe finde, kann ich die Ausbreitung der Krankheit verhindern.«
»Ich habe meinen George nie betrogen!« Die Frau zitterte.
»Also hat er außereheliche Eskapaden.« Ricarda fühlte sich unwohl angesichts ihrer Beharrlichkeit, aber es musste sein.
»Ich weiß, dass er manchmal weggeht und erst spät wiederkommt. Meist dann, wenn ich meine Migräne habe.«
Ricarda atmete tief durch. Offenbar konnte sich Mr Simmons nicht einmal während der Periode seiner Ehefrau zurückhalten. Dass er sich mit seinen Abenteuern den Tod ins Haus holen konnte, hatte er offenbar nicht bedacht.
»Ich würde gern mit Ihrem Mann sprechen. Ich glaube, er sollte wissen, dass er möglicherweise auch betroffen ist.«
Die Frau zitterte jetzt noch heftiger. Anscheinend gab es für sie noch Schlimmeres als die Diagnose. »Aber er wird Ihnen nich' erlauben, ihn zu untersuchen.«
»Das muss er auch nicht. Meinetwegen kann er Doktor Doherty aufsuchen. Aber er sollte wissen, dass er sich im Freudenhaus wahrscheinlich mit Gonorrhoe angesteckt hat. Und dass er behandelt werden muss.«
»Und wie?«
»Es gibt ein Medikament: kolloidales Silber. Es ist sehr teuer, aber meine Kollegen haben damit schon Erfolge erzielt. Es ist wichtig, dass Sie beide sich während der Behandlung nicht gegenseitig wieder anstecken. Daher muss ich es ihm sagen.«
»Kann ich's ihm nich' selber sagen?«, fragte Maggie Simmons.
In den Augen der Patientin spiegelte sich die nackte Angst. Ricarda ahnte, was Maggie blühte. Ihr Ehemann würde sie des Ehebruchs bezichtigen, schon weil er niemals eingestehen würde, dass er sich im Bordell vergnügt hatte. Schlimmstenfalls würde er seine Frau verprügeln und vor die Tür setzen.
Ricarda schüttelte den Kopf. »Nein, es ist besser, wenn ich es ihm sage. Ich bin Ärztin. Ich weiß, was die Krankheit anrichten kann, und ich habe auch keine Angst, mich Ihrem Mann entgegenzustellen, wenn er meint, dass Sie die Schuldige sind. Hören Sie, eine Therapie kann nur etwas bringen, wenn Sie nicht immer wieder den Krankheitserregern ausgesetzt sind. Deshalb muss Ihr Mann es erfahren.«
Maggie nickte und schaute dabei so verzweifelt drein, als sei der Weltuntergang gekommen.
»Aber erst einmal möchte ich einen Abstrich nehmen, wenn Sie erlauben.«
Die Frau blickte sie fragend an, doch nachdem Ricarda ihr erklärt hatte, was sie vorhatte, ließ sie die Prozedur über sich ergehen.
Am Nachmittag nutzte Ricarda eine kurze Ruhepause, um in die Stadt zu gehen. Die Luft war stickig und roch nach Seetang. Die erfrischende Brise, auf die ganz Tauranga wartete, blieb aus.
Dennoch schaffte es Ricarda, ihre Gedanken zu ordnen und ein wenig Abstand von dem zu nehmen, was sie in der Praxis erlebt hatte. Vielleicht sollte ich mir den nachmittäglichen Spaziergang zur Gewohnheit machen,
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