Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga
Empfindungen, die sie bisher noch nicht gekannt hatte.
Teil drei
Ankunft am Mount Maunganui
1
Am Morgen des 10. April 1894 begab Ricarda Bensdorf sich von ihren Wohnräumen hinunter in ihre Praxis. Stolz erfüllte sie, weil ihr Traum wahr geworden war und sie fortan ihr medizinisches Wissen zeigen konnte.
Sie zweifelte nicht daran, dass sich ihr Wartezimmer bald füllen würde, denn die Rettung Ingram Bessetts, der sich auf dem Wege der Besserung befand, hatte sich herumgesprochen. Gern hätte sie ihn noch einmal untersucht, aber sie hatte sich nicht ins Hospital gewagt. Es war ihr allerdings zu Ohren gekommen, dass Ingram Bessett genesen und bereits nach Hause zurückgekehrt sei. Auch wenn Doherty wieder einmal derjenige war, der kassierte, fand Ricarda den Gedanken ermutigend, dass sie ihr erstes Menschenleben ohne den Beistand eines Kollegen gerettet hatte. Er verlieh ihr Kraft und Zuversicht für das, was vor ihr lag.
Vater, wenn du nur sehen könntest, was ich mir hier aufgebaut habe!, ging es ihr wieder einmal durch den Kopf. Zuweilen verspürte sie den Drang, ihren Eltern zu schreiben. Die Wut über die geplante Ehe mit Berfelde war in den Hintergrund getreten. Verrauchen würde sie wohl nie, dazu war der Verrat zu schwerwiegend gewesen. Aber vielleicht würden ihre Eltern ja doch noch begreifen, dass es nicht das Richtige gewesen wäre, ihre Tochter an den Herd zu verbannen.
Leise knarrten die Treppenstufen unter Ricardas Schritten. Im Haus war es noch still. Lediglich das Rauschen des Meeres drang an ihr Ohr.
Seit nunmehr zwei Wochen wohnte sie hier, obgleich sie noch etwas provisorisch eingerichtet war. Trotz der Trauer über Ricardas Auszug hatte die gute Molly ihr tatkräftig geholfen, kostengünstig ein paar Möbel für die neue Wohnung zu beschaffen.
Während Ricarda die Haustür aufschloss, dachte sie unwillkürlich wieder an Jack Manzoni. Er war kein sehr häufiger Gast bei den Bauarbeiten gewesen, aber wenn er sich nach dem Fortschritt und nach Ricardas Befinden erkundigt hatte, war es für sie selbst bei trübem Wetter und trotz der Probleme mit den Handwerkern stets ein ganz besonderer Tag gewesen.
Kurz nach dem Vorfall mit Bessett war er tatsächlich bei ihr erschienen, um die Liste mit den gewünschten Instrumenten abzuholen.
Ricarda hatte sich bemüht, sie auf das Nötigste zu beschränken, denn sie wollte nicht unverschämt sein. Dennoch war die Liste so lang geworden, dass Manzoni breit grinste, als er sie entgegennahm.
»Wenn das die Kurzversion ist, hätte die lange Liste vermutlich ein ganzes Heft gefüllt«, spöttelte er, was Ricarda so peinlich berührte, dass sie das Papier am liebsten zurückgezogen hätte. Doch Manzoni hatte es sich bereits geschnappt und in die Tasche geschoben.
Nach einer Woche fuhr Jack mit den Kisten vor. Er hatte in Hamilton einen Händler für medizinischen Bedarf gefunden, der seine Ware aus Europa und Amerika, aber auch aus einer Manufaktur in Wellington bezog, die ihr Sortiment ständig erweiterte.
Als Erstes schlug Ricarda den Katalog mit dem Warenangebot auf, den sie obenauf in einer der Kisten gefunden hatte. Sie erstarrte, als sie die horrenden Preise sah. Auch in Deutschland waren diese Dinge nicht gerade preiswert, aber sie hatte erwartet, dass es in Neuseeland anders war. Doch da hatte sie sich geirrt. Mr Manzoni musste ein Vermögen dafür ausgegeben haben! Sie schämte sich.
Jack schien auch das nicht zu entgehen. »Machen Sie sich keine Sorgen über die Preise, Doc!«, erklärte er in beruhigendem Ton. »Nehmen Sie die Sachen, und tun Sie Gutes damit!«
Ricarda hatte nicht gewusst, was sie sagen sollte. Einmal mehr spürte sie in Jacks Anwesenheit die Anspannung, die sie schon auf Marys Empfang überfallen hatte. Ihre Kehle schnürte sich zu, und ihre Wangen röteten sich.
»Danke, Jack! Wie soll ich Ihnen das je vergelten? Jedenfalls werde ich Sie jederzeit kostenlos behandeln, sollten Sie einmal ärztliche Hilfe brauchen.«
Manzoni nickte, und sein Blick verriet, dass er in diesem Augenblick ebenso wenig frei von Nervosität war wie Ricarda. »Dieses Angebot nehme ich gern an; ich habe allerdings eine sehr robuste Gesundheit. Und ich hoffe nicht, dass sich das ändert.« Damit verabschiedete er sich.
Ricarda lächelte bei der Erinnerung an diese Begegnung. Und sie gestand sich ein, dass sie Jack vermisste. Schon seit über einer Woche hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Sie wusste, dass er auf den Weiden zu
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