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Sternendieb - Roman

Titel: Sternendieb - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Ich bin bereit zu diskutieren.«
    Marco ging in dem neuerlichen Durcheinander von Stimmen unter.
    Tabea gähnte. Sie löste die Bettschnallen und schwang ihre Füße bedächtig auf den Boden. Nackt, wie sie war, stöberte sie einen Morgenrock auf und streifte ihn über. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt in ihrem eigenen Schiff einen Morgenrock hatte tragen müssen. Das Aufwachen war schon schlimm genug, und nun auch noch das.
    Sie ging aufs Klo, dann ging sie in die Kombüse und erhitzte einen Pipettentropfen voll Fertigkaffee. Sie trank ihn an Ort und Stelle, im Stehen, unschlüssig, ob sie in der Kombüse bleiben oder die wenigen Meter durch den Gang in die Kabine zurückgehen sollte, weil - da hätte ja jemand aus dem Frachtraum kommen
können. Die anderen hatten hier ihre Spuren hinterlassen. Es war nicht mal Zeit gewesen, für Proviant zu sorgen. Wie viel brauchte man für vier Leute und einen Monat? Was aßen die überhaupt? Womit fütterten sie Talo?
    Talo war nicht mehr in der Box. Sie hörte seine flötende Stimme, die zwar zur Lautstärke des Palavers, aber nichts zum Fortgang desselben beitrug. »Im Himmel, da herzt man sich«, trällerte er. »Schamlos im Himmel.«
    Ihr gingen die Zwillinge durch den Kopf. Inzest. Wie brachten sie das fertig? Sie war nicht wirklich schockiert oder angewidert, sie konnte sich das bloß nicht vorstellen. Die eigene Schwester, den eigenen Bruder lieben, richtig lieben. Und sie oder er liebt dich auch. Und wenn er oder sie dazu noch genauso aussieht wie du, was soll das Ganze dann? Sie konnte das nicht nachvollziehen. Wenn sie je ihrem Doppelgänger begegnen würde, würde sie wahrscheinlich die Flucht ergreifen. Aber was, wenn man so aussah wie die beiden? Sie waren ausgesprochen hübsch. Auf ihre verrückte Art waren sie sehr sexy. Wie Mogul sie gestern im Cockpit angesehen hatte …
    Und genau da gehörte sie jetzt hin. Sie beendete ihr spärliches Frühstück und ging in die Kabine zurück. Sie stieß mit niemandem zusammen. Aus dem Frachtraum drangen inzwischen Weihnachtslieder. Irdische Weihnachtslieder. Das waren lauter Bekloppte. Sie nahm sich vor, den Kontakt mit denen auf das unumgängliche Minimum zu beschränken, sonst war sie am Ende so bescheuert wie die.
    In voller Montur ging sie den Gang zum Cockpit hinunter. Sarah hatte den Frachtraum verlassen. Sie stand an einem Bullauge, mit einem weiten weißen Hemd bekleidet, und klaubte vergebens nach dem Glas. Tränen rannen ihr die schmalen Wangen hinunter und tropften rechts und links von ihrem Lippenbärtchen.
Tabea hatte sie erst gehört und dann gesehen. »Ich will zurück«, jammerte Sarah vor sich hin. »Dahin, wo wir waren, als wir noch alle beisammen waren.«
    Tabea war sich nicht darüber im Klaren, ob das nun ein echter Ausbruch oder eine Rollenprobe war. Der Gang war eng, und Sarah versperrte den Weg.
    »Was ist los?«, fragte sie schroff.
    Sarah drehte ihr das nasse Gesicht zu. »Du«, sagte sie kläglich, »du kannst uns zurückbringen. Du kannst das, oh, du kannst das!«
    Sie warf Tabea die Arme um den Hals und schluchzte an ihrem Revers.
    Das war kein verheißungsvoller Auftakt für die Reise. Tabea nahm ihr das furchtbar übel, hielt sie aber fest, während sie weinte. Sarahs Körper war stramm, geschmeidig und muskulös. Ihr Haar duftete nach Zitronen, ihre Haut nach Pfefferminz und Kummer.
    Jetzt erschien der Rest der Bande, zuvorderst die Flugtauglichen, die die beiden neugierig beäugten. Marco kam gelaufen und wollte Sarah zurückziehen. So wenig Tabea mit der Sache zu tun haben wollte, so wenig wollte sie ihm je wieder irgendwas oder irgendwen überlassen. An Marco vorbei warf sie Mogul einen bezeichnenden Blick zu. Mogul nahm sich rasch und zärtlich seiner Schwester an.
    Er trug jetzt auch ein Lippenbärtchen.
    Wer von beiden war ihr nun um den Hals gefallen?
    Sie gab sich einen Ruck und setzte wortlos ihren Weg zum Cockpit fort.
    »Hast du gut geschlafen? Hoffentlich haben wir dich nicht aufgeweckt«, sagte Marco, der ihr eifrig hinterherdackelte.
    »Erstens, nein«, meinte sie über die Schulter. »Zweitens, ihr habt.«
    »O Jesus, ich war schuld!«, schrie er verbittert.

    Sie wollte ihm antworten, aber sie ließ es bleiben. Sie legte einen Schritt zu und schwang sich ins Cockpit hinauf und in ihr Netz. Das war ihr Platz, ihr Territorium, wo sie das Sagen hatte. Sie schloss die Augen und atmete tief durch. So ging es nicht weiter. Sie musste sich was einfallen

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