Sternendieb - Roman
hereingeplatzt war.
»Allmächtiger Jesus, du hast den Behälter doch nicht aufgemacht?«
Marco war augenblicklich auf den Beinen, scheuchte Talo auf und stürzte an den Zwillingen vorbei, hin zu ihr.
»Ich hab ihn schnell wieder zugemacht. Aus der Luftschleuse hätte ich ihn schmeißen sollen!«
»Nun mal ganz ruhig, Tabea. Ganz ruhig!«
Die drei Menschen hatten auf der Pritsche gesessen und eine langstielige Pfeife herumgereicht. Sie hatten ein Stück Papier studiert, eine Karte oder irgendeinen Plan, und das Papier sofort verschwinden lassen, als Tabea hereingeplatzt war. Die Zwillinge, einander im Arm haltend, hatten die Füße hochgerissen, als Marco an ihnen vorbeistürzte, und standen jetzt auf der Pritsche und drückten sich rücklings an die linke Seitenwand. Auch Xtaska hatte mit seiner Untertasse einen Satz nach oben getan und hing an der Rückwand der Kabine. Talo flatterte wie wild im Kreis herum.
»Raus mit der Sprache, Marco!«
Er war aufgebracht, zornig. »Setz dich! Setz dich!«, fuhr er sie an. »Wirst du dich wohl setzen jetzt!«
Die Zwillinge trappelten auf der Pritsche zurück, um Tabea Platz zu machen. »Setzen, setzen …«, murmelten sie ängstlich. Einer von ihnen hielt die qualmende Pfeife in der Hand. Tabea hatte diesmal keine Ahnung, wer es war.
»Ich will mich nicht setzen!«, fauchte sie. »Ich will eine Erklärung!«
»Du wirst aufnahmefähiger sein, wenn du bequem sitzt, Käpt’n«, schnurrte Xtaska.
Tabea drohte ihr mit dem Finger. »Willst du mir das erklären? Nein? Dann halt dich da raus!«
Sie ignorierte die Zwillinge, funkelte Marco an.
Er hielt den Kopf gesenkt, hatte die Fäuste geballt, und die Adern an seinen Schläfen traten hervor. »Wirst du dich jetzt endlich setzen und zuhören?«
Der eine Zwilling bückte sich spontan und hielt ihr die Pfeife hin. Es war Sarah, Tabea las es in ihren Augen. Tabea hätte ihr die Pfeife fast aus der Hand geschlagen.
»Ich höre, Marco!«
Er stieß hörbar den Atem aus, ruckte einen Millimeter zurück. Dann hob er den Kopf in den Nacken, massierte die eine Hand mit den Fingern der anderen, spielte mit seinem großen Ring. »Es ist Hektor.« Er sah sie unglücklich an. »Er ist tot.«
»Das war nicht zu übersehen.«
»Er wird nie mehr die Lindenstraße hinunterspazieren!«, jubilierte Talo herzzerreißend und landete mit einem Satz auf Marcos Schulter.
Marco wandte sich ihm zu, hielt ihm den gekrümmten Zeigefinger hin, damit er darauf beißen konnte.
»Er war eben erst zu uns gestoßen«, sagte Marco spröde.
Tabea sah Sarah an. Sarahs Gesicht war eine starre Maske, ausdruckslos wie das ihres Bruders.
Marco hob den Blick zu Sarah. Waren das Tränen in seinen Augen?
»Sie haben ihn getötet«, sagte er.
Plötzlich war er die Besorgtheit selbst.
»Hör zu, Tabea. Komm her, komm, setz dich. Ich will dir alles erzählen, wir wollen dir die ganze Sache erklären. Bleib nicht in der Tür stehen. Du fühlst dich elend, das war ein Schock für dich, mach schon, komm und mach es dir bequem. Willst du einen Kaffee? Soll ich dir einen Kaffee holen? Du brauchst nur zu nicken. Ich weiß, wie das ist, wenn man sich elend fühlt. Ich weiß. Ich weiß. Ich fühle mich auch elend. Es ist alles meine Schuld. Glaub mir. Siehst du nicht, wie elend ich mich fühle?«
Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Talo ließ sich nichts entgehen, sein Kopf ruckte hin und her.
»Wir hatten Hektor in einem Tiefkühlabteil von Schlaf-der-Gerechten untergebracht, in einem ihrer Särge«, sagte Marco. »Sie wussten nichts davon. Sie würden nie einen Frasqui aufnehmen.« Er lachte ein kurzes, bitteres Lachen. »Ist das nicht paradox?« Er
schnippte mit den Fingern. »Sarah, einer von euch holt jetzt Kaffee für den Käpt’n.« Tabea bemerkte die intensiven Blicke der beiden, sie zielten auf ihre Brüste. Sie zog den Morgenmantel enger um die Schultern.
Tabea ließ den Blick von einem zum anderen wandern: Marco, im Zentrum, der das Sagen hatte, Talo auf seiner Schulter, die Zwillinge, zusammengedrängt auf der Pritsche, enger umschlungen denn je, der Cherub, oben hingehockt auf seiner Untertasse, wie ein Schiedsrichter beim Tennis. Alle Blicke waren auf sie gerichtet. Draußen vor dem Bullauge tanzten Flecken in der farblosen Leere des Hyperraums.
»Für wie dumm hältst du mich?«, sagte sie giftig.
Marco setzte sich so ungestüm auf den Platz, den er ihr zugedacht hatte, dass er sich festklammern musste, um auf der Pritsche zu bleiben. Er
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