Sternendieb - Roman
hinterhältigen Kurtisane oder wie die Nesselfäden einer Meduse.
Sie schimmerte, und sie verschwamm. Glibbriges grünes Feuer umschlierte sie von vorn bis achtern. Sie war Käpt’n Kelso Peppers Nackte Wahrheit , und sie näherte sich der Kante der Sprungschanze.
In einem der Unterdecks, in einer kleinen Zelle lag Tabea Jute auf einer Pritsche und spielte Mundharmonika. Sarah Zodiak saß neben ihr auf dem Boden und sang den Blues …
Wurde wach heute Morgen, sah den Bruder neben mir.
Er nannte mich Schwester, und ich liebte ihn dafür.
Sag, Bruder, sag, wen klagen wir an? Sag, Bruder, sag, was fang ich ohne dich an?
Verstört unterbrach Tabea ihr Spiel. Sie schlug die Harmonika auf der Handfläche aus. »Wie kannst du nur«, sagte sie.
Sarah verdrehte den Hals und sah zu ihr auf. »Wie meinst du das?«
»Einfach … einfach so darüber zu singen.«
»Ich habe viele Lieder für uns gemacht«, meinte Sarah, als sei das die Erklärung. Vielleicht war es die Erklärung.
»Aber das ist vorbei«, setzte sie heiser vor Rührung hinzu.
Tabea hätte sich ohrfeigen können. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte und setzte die Mundharmonika an die Lippen. Leise blies sie Don’t Worry, Be Happy.
Sarah saß da mit hängendem Kopf. Bestimmt weinte sie wieder. Tabea legte den Kopf in den Nacken und rief zornig in die Luft: »Du hörst doch bestimmt zu, Pepper, du großes Stück Mist? Dann pass auf, denn das hier ist für dich.« Und sie begann eine schwungvolle Version von We Shall Overcome .
Sie spielte das Stück dreimal hintereinander. Als sie zum vierten Mal damit anfing, blickte Sarah gequält zu ihr hoch. »Das macht mich noch verrückt«, sagte sie. »Ich weiß doch gar nichts über ihn. Hups …« Sie schnappte sich einen Halt an der Pritsche, als sie plötzlich vom Boden abhob.
Die Gravitation schien jetzt von oben zu kommen, zum Glück war sie nur noch sehr schwach. Dafür teilte jetzt eine immaterielle, blau schillernde, dreidimensionale Matrix den Raum auf, als versuchte etwas mit aller Kraft aus der Luft heraus zu kristallisieren. Die Knotenpunkte verflüchtigten sich, sobald man sie ins Auge fassen wollte, doch bei flüchtiger Betrachtung waren es blau glühende, durchscheinende, sechsarmige Seesterne, die den Raum in gleichgroße Würfel teilten.
Tabea strampelte kopfüber auf einem unsichtbaren Fahrrad, allerdings ohne von der Stelle zu kommen, denn sie hielt sich mit der einen Hand an der Kante der Pritsche fest und mit der anderen an Sarahs Hand. Überall und nirgends herrschte ein durchdringendes, kritzelndes Geräusch. Und da, wo das Geräusch war, hing auch ein Pseudoduft nach Marzipan in der Luft.
»Wir springen«, sagte Tabea. Ihre Stimme schraubte sich gemächlich aus ihrem Mund wie dickes Öl, das sich in den Siphon ergießt, und ihr Haar spreizte sich vom Kopf.
Dann stürzten sie beide in unliebsamen Verrenkungen auf die Pritsche zurück. Eine weiche, schwammige Schwere aus gewohnter Richtung hatte sich eingestellt. Alles und nichts war wieder normal. Die Luft fühlte sich dünn und kremig an, das trübe Licht war schlapp und grau.
Hyperraum.
Sarah klammerte sich an Tabea, flennte, als ob ihr das Herz bräche, und flehte sie an, sie zu retten, heimzubringen und ihr den Bruder zurückzugeben.
Wenn sie und ihr Zwillingsbruder Tabea mitunter an Tricarico erinnert hatten, so erinnerten sie sie auch an Rella - die Art, wie sie alle drei aus der Höhe ihrer Selbstsicherheit und Begeisterung jählings in den Abgrund grenzenlosen und untröstlichen Kummers stürzen konnten. Und erwarteten, dass man ihren Sturz aufhielt.
»Ich wollte auf eigenen Füßen stehen«, krächzte Sarah, als sie sich wieder etwas beruhigt hatte, »aber doch nicht so …«
»Er war wenigstens glücklich«, entgegnete Tabea und drückte sie an sich.
»Er war verrückt«, schniefte sie.
»Er war glücklich«, beteuerte Tabea. »Wirklich, er mochte diese Umgebung. Es gibt ein paar, die das mögen.«
Das passte Sarah nicht. Ihr Bruder hatte sich bei der Bruchlandung eine Gehirnerschütterung zugezogen. »Er war übergeschnappt! Lass dir das gesagt sein. Ich kenne ihn doch.«
»Und wenn schon«, sagte Tabea. »Was wäre daran so schlimm? Wären wir verrückt, könnten wir hier vielleicht glücklich sein. Wäre das nicht schön?« Sie erhob ihre Stimme. »Wäre das nicht fein, Käpt’n Pepper? Wir würden es genießen. Das fändest du doch prima, nicht wahr? Du siehst es doch so gerne, wenn deine Passagiere
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