Sternendieb - Roman
bort!«, knurrte er.
»Komm mal gucken«, sagte Sarah und winkte sie ans Fenster zurück.
Die graue Scheibe von Charon hing nicht mehr vor, sondern unter ihnen, und der grüne Flecken wuchs. Er hatte sich in die Mitte der Scheibe verlagert und raste auf sie zu.
Es war Vegetation. Eine Oase in dieser Kältesteppe. Nicht sehr groß, vielleicht zwei oder drei Kilometer im Durchmesser. Durchgehend grün, mit einem Fluss. Es gab Bäume, dicht belaubt. Etwas, das aussah wie das Dach eines winzigen Gebäudes. Tupfer - Leute - auf dem Rasen. Blumenbeete.
Auf Charon!
So etwas hatte Tabea noch nie gesehen. Ihr wurde speiübel. Ihr Herz hämmerte, und sie kämpfte mit dem Brechreiz.
Sarah, der das nicht entging, streichelte Tabeas Nacken und sah ihr fragend ins Gesicht.
»Bir lad-ded«, sagte der Offizier.
Tabea schluckte und schnappte nach Luft. Sie schwamm zum Netz und nahm ihren Platz neben Xtaska ein. Die Fenster wurden schwarz, als der Pilot beidrehte. Er senkte die Nase der Fähre, und Eiswüste kippte in die Fenster, unwirtlich, zerklüftet, finster und leblos - und dann die Wipfel von Laubbäumen, die im Sonnenlicht glühten.
Die Fähre sank in eine Lücke zwischen den Bäumen und landete auf dem Rasen, den Bruchteil einer Sekunde später tat es einen sanften Plumps, als die Alice aufsetzte.
»Da lässt jemand einen Drachen steigen«, sagte Sarah verwundert.
»Wahrhaftig ein Mikroklima«, näselte Xtaska, die sichtlich beeindruckt war. Sie war in dem luxuriösen Ambiente des Sternenschiffs
wieder zu Kräften gekommen und keineswegs entzückt gewesen, als man sie alle drei aus der Aussichtslounge geholt und in die Fähre gebracht hatte. Jetzt lebte sie wieder auf.
Tabea fühlte sich scheußlich. Man würde sie töten wegen einer Sache, von der sie überhaupt nichts gewusst hatte. So wie man auch Käpt’n Pepper und Torka und Sching liquidiert hatte, nämlich aus schierem Verdruss heraus, nicht etwa wegen der Verbrechen und Grausamkeiten, die diese Piraten begangen hatten. Es gab kein Entrinnen. Sie war lästig, eine lästige Fliege, und so würde man sie auch behandeln.
Auf Charon gab es keine Bäume, kein Gras und schon gar keine Blumenbeete!
»Los, los«, schnauzte der Eladeldi-Offizier und trieb sie aus dem Netz in die Schleusenkammer. Als sich die Außentür öffnete, flutete Sonnenlicht herein.
Tabea stieg mit weichen Knien aus. Der Boden unter dem saftigen Gras fühlte sich elastisch an. Kein einziger versengter Grashalm. Die Fähre war nicht wärmer, als hätte sie zwei, drei Stunden hier in der Sonne gestanden. Tabea lehnte sich mit dem Rücken an die Hülle und atmete gierig die unmögliche Luft. Xtaska brummte auf seiner Untertasse ins Freie, und Sarah stieg aus. Sarah stand auf dem Rasen, anmutig, das schmale Gesicht ein einziger Ausdruck des Staunens. Die Schwerkraft lag bei einem »G« und machte zu schaffen, wenn man sich an weniger gewöhnt hatte. Der Himmel war blau.
Der Drachen war gelb. Er tanzte und fegte so übermütig durch die Luft, als sei das Fliegen eben neu entdeckt worden, und er dürfe es ausprobieren.
Eine hohe Gestalt in einer Toga hielt das Ende der Schnur und kippte den riesigen Schädel nach hinten, um den Drachen zu beobachten. Durch die Lücken zwischen den Bäumen konnte
Tabea den Capellaner sehen, er stand auf der anderen Seite des Flüsschens. Jenseits seines Standorts war noch mehr Wiese, noch mehr blauer Himmel und dahinter die vage Düsternis der schweigenden, eisigen Wildnis von Charon, rau und lebensfeindlich.
Und in den Bäumen sangen die Vögel.
»Los, kobb«, blaffte der Offizier und zerrte sie vorwärts. Die Krallen gruben sich durch den weichen Pyjama in ihren Arm.
Er trieb Tabea und Sarah und Xtaska vor sich her; Xtaska flog dicht über die Spitzen der Grashalme, sein Schutzanzug schillerte und blitzte im strahlenden Sonnenschein.
Sie folgten einem Kiesweg, der um ein schmales Buchengehölz herum auf offenen Rasen hinausführte, der sich diesseits und jenseits des Flüsschens erstreckte und sich sanft zu seinen Ufern hinabschwang, als wäre das die natürlichste Sache der Welt. Rechts von ihnen führte der Buchenbestand zu einem Dickicht aus vollbusigen Rosskastaniensträuchern mit voll erblühten Dolden, weißen und rosaroten. Blühende Sträucher und Blumenbeete schweiften in anmutig lockeren Linien zu den Ufern hinunter. Auf einer kleinen Brücke aus poliertem Stein und Stahl stand eine hohe Gestalt und ließ eine hauchdünne Leine im klaren Wasser
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