Sternenfaust - 069 - In Ketten
die Ärztin, »Sie haben recht. Das Entscheidende meiner Untersuchungen ist nicht, dass mir schleierhaft ist, wie und wovon dieses Ding …« Sie unterbrach sich kurz. »Wie und wovon dieses zweifellos intelligente Ding lebt, sondern dass es offensichtlich in der Lage ist, die für andere Lebensformen tödliche Radioaktivität problemlos zu überstehen. Es ist …« Sie stockte einen Moment.
»Tut mir leid, aber ich finde keine anderen Worte dafür«, fuhr sie fort, »es ist, als würde Seng die Strahlung einfach ignorieren!«
»Das ist unter den gegebenen Umständen eine äußerst präzise Beschreibung«, sagte Dana und lachte. Sie wusste, dass die Ärztin einen Schuss Ironie vertragen konnte. Gleichzeitig wurden ihre Erinnerungen an ihre Gefangenschaft bei den Morax wieder lebendig. Ihr anfänglich offenes Lächeln bekam einen bitteren Zug. »Der Zynismus, der hinter diesen Vorfällen steckt, geht noch tiefer.«
Sie blickte die Anwesenden an.
»Nicht nur Schrift und Sprache teilen sich Angreifer und Opfer, sondern auch bestimmte physische Eigenschaften. Seng und die Morax verbindet, dass sie radioaktive Strahlung nicht tangiert. Es sieht bei beiden so aus, als nehmen sie sie überhaupt nicht wahr. So wie wir eine frische Brise an der Küste als normal empfinden und nicht weiter darauf reagieren. Aber der gleiche Wind kann für ein kleines Insekt den Tod bedeuten, etwa wenn es von einer Böe in ein Spinnennetz getrieben wird.«
»Vielleicht haben Sie recht, Captain«, sagte Bruder William, der sich Dana gegenüber immer dann um einen formellen Tonfall bemühte, wenn andere dabei waren. Unter vier Augen redeten sie sich mit den Vornamen an und duzten sich sogar gelegentlich. »Aber das wirft für mich eine ganz andere Frage auf …«
Dana und auch die anderen im Shuttle blickten William gespannt an.
»Wenn Seng, der Undefinierbare, behauptet, er sei der letzte Überlebende der Wloom, warum hat er dann überlebt? Ist er der einzige seines Volkes, dem Radioaktivität nichts ausmacht? Dann wäre diese Eigenschaft tatsächlich etwas Besonderes und Dr. Gardikov sollte dann meiner Meinung nach unbedingt weitere Untersuchungen anstellen, die dieses Phänomen aufklären. Aber daran mag ich nicht glauben. Ist es für ihn aber nichts Besonderes – und davon gehe ich aus – dann frage ich mich, warum nicht noch mehr Wloom überlebt haben …«
»Vielleicht haben sie das ja«, sagte Dana. »Und er traut sich nur nicht, das zuzugeben.«
»Genau darauf wollte ich hinaus«, erwiderte William und nickte heftig.
»Angenommen, Ihre Überlegung stimmt, Bruder William«, sagte Dana, »dann würde mich Sengs Vorsicht nicht weiter wundern. Nach allem, was er durchgemacht hat, gibt es für ihn keine Veranlassung, uns einen Vertrauensvorschuss zu geben …«
*
Zur gleichen Zeit durchkämmte auf dem zweiten Planeten des Systems eine Abordnung Tanjaj ein Gebiet, das vor der Zerstörung wohl eine blühende Dschungellandschaft, bestehend aus extrem hitzebeständigen Pflanzen gewesen war. Von dieser Landschaft war jetzt aber nur noch Ruß und Asche übrig, aus der die schwarzen Stümpfe einstiger, gewaltiger Urwaldbäume wie Gerippe in die Luft ragten. Angeführt wurde der Trupp von dem erfahrenen Unteroffizier Mel Roc, einem Anhänger Satren-Nors. Trotz aufmerksamer Suche war ihnen bisher kein Fund wie dem Kommando der STERNENFAUST gelungen, was unter den zehn mit Grasern bewaffneten Kämpfern allmählich zu Spannungen führte.
Es war offensichtlich, der Planet war so tot wie jeder andere des Systems und es würde Jahrhunderte, wenn nicht sogar Jahrtausende dauern, bis sich hier wieder einfaches Leben ausbreiten konnte. Ähnlich wie bei den anderen Trupps der Expedition, erkundeten sie zu Fuß ausgesuchte Geländeabschnitte, während ihre Landefähre in großer Höhe über ihnen schwebte und den Luftraum sowie die weitere Umgebung sicherte.
Wie überall in der kridanischen Gesellschaft gab es auch bei den Tanjaj seiner Mannschaft eine tief gehende ideologisch-religiöse Kluft zwischen den Anhängern der alten und der neuen Ordnung. Letztere repräsentiert durch den Prediger Satren-Nor, der so lange kommissarisch das Imperium führte, bis der junge Raisa alt genug sein würde, um selbst die Macht zu übernehmen. Doch die Traditionalisten, die Vertreter der alten Ordnung, die von dem Prediger und seinen Anhängern beiseite gefegt worden waren, saßen trotz ihrer Niederlage noch an vielen wichtigen Stellen. Da sie knapp die
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