Sternenfaust - 111 - Die Stimmen der Götter
brachte …«, murmelte Satren-Nor.
Sun-Tarin achtete nicht mehr auf den Prediger. Er drückte sich lautlos durch die Tür hindurch, vergewisserte sich mit einem schnellen Blick seiner scharfen Augen, dass er nicht gesehen wurde, und drückte sich an die gegenüberliegende Wandnische hinter einen violetten Vorhang, der eine Einbuchtung mit einem der Dera-Kästen schützte, in denen ein Teil einer alten heiligen Schrift aufbewahrt wurde. Zwar war es nicht die handschriftliche Aufzeichnung auf Pakin-Gestein des ersten Raisa Marton-Sar, doch eine Jahrhunderte alte Abschrift, angefertigt von einem Nachfolger des Märtyrers Sampan-Dor, einem Kriegsheiligen.
Sun-Tarin spähte hinter dem Vorhang hervor und entdeckte eine in beigefarbene Tücher gehüllte schlanke Gestalt, die mit leisen Schritten auf die Zimmertür des Essgemaches des Raisa zueilte. Das Gesicht des Fremden war von den Tüchern einer Demar-Kapuze umhüllt.
Ein Attentäter! Sun-Tarin schnellte vor, packte den fremden Kridan an den Schultern und wollte ihn zu Boden bringen. Ein wütender heller Schrei ließ ihn herumfahren! Er schaffte es gerade noch auszuweichen, als eine scharfe Fußkralle dicht an seiner Kehle vorbeifuhr. Eine tödliche, sehr präzise Technik, die nur ein gut ausgebildeter Kämpfer kennen konnte! Ein zweiter Feind! Und offenbar einer, der etwas vom Kämpfen verstand! Sun-Tarin richtete sich neu aus.
»Kiri-Tan!«, schrie hinter ihm die Stimme einer Kridan.
Der Kridan im schwarzen Büßergewand sprang hoch, als der nächste Angriff auf seine Füße erfolgte. Er drehte sich im Sprung, täuschte einen Tritt mit dem Fuß an und zog dann seinen Krallenrücken durch das Gesicht des Angreifers. Der taumelte, fing sich aber überraschend schnell, sprang vor und packte Sun-Tarin in einem speziellen Würgegriff mit versetzten Krallen an der Kehle! Bei einer falschen Bewegung konnte der Fremde ihm den Kehlkopf herausreißen! Sun-Tarin hob den Arm, um sich aus dem tödlichen Griff zu entwinden, als plötzlich die Stimme des Raisa erklang. »Stop! Haltet ein!« Die donnernden Worte ließen sowohl Sun-Tarin, als auch seinen Angreifer erstarren. Beide fuhren herum. Der Angreifer in der dunkelbraunen Gewandung glitt nach hinten auf die Knie und neigte den Schnabel. Der zweite Eindringling kam nun näher heran und sank ebenfalls auf die Knie. Der Kämpfer, der den hell gewandeten Kridan verteidigt hatte, hielt den Blick auf den Boden gerichtet.
»Vergebt mir, Euer Heiligkeit. Dieser eine hier griff meine Schwester an.« Dabei schlug der Angreifer die Kapuze zurück und Sun-Tarin erkannte überrascht, dass es eine Eierlegerin war, die ihn eben beinahe getötet hatte. Sie hatte rot schimmernde Augen, in denen kleine silberne Lichtfunken glommen.
»Wer … Wer bist du?«, krächzte der Kridan verwundert.
Die zweite Kridan schob sich auf den Knien nach vorne, zwischen ihn und den Raisa. Obwohl sie derart demütig agierte, wirkten ihre Bewegungen anmutig. Sie hielt dem Raisa ihre geöffneten Krallen entgegen. »Euer Heiligkeit, ich bin Saha-Fera, das entsandte Orakel. Und dies hier ist meine Schwester und Leibwächterin Kiri-Tan. Unser Flug kam früher an als erwartet, da unser Tugendwächter Kales-Sun meinte, mit einer falschen Zeit umgingen wir die Medien. Euer Lehrer, Priester Orlan-Gal, sandte uns sofort aus, uns bei Euch zu melden und Euch unsere Anwesenheit selbst mitzuteilen, während er noch ein dringendes Gespräch mit Kales-Sun unter zwei Schnäbeln führen müsse.«
Satren-Nor gesellte sich nun ebenfalls zu der Gruppe. Er stand in der Tür des Essgemachs. »Was kann so wichtig sein, dass der Priester euch allein zum Raisa gehen ließ?« Seine Stimme klang leicht verärgert.
Sun-Tarin senkte den Schnabel und wandte sich Saha-Fera zu. Sie hatte die schönsten Augen, die er je bei einer Kridan-Frau gesehen hatte. Er musste sich beherrschen, die volle Iris nicht unhöflich anzustarren. »Vergebt mir, Saha-Fera. Ich war über Eure Ankunft nicht informiert und glaubte, Ihr seid ein Meuchelmörder.«
»Lasst uns die Entschuldigungen beenden«, meinte der junge Raisa nüchtern. Er gab Saha-Fera die Hand und zog sie auf die Fußkrallen. »Kömmt erst einmal auf die Krallen und lasst uns in das Besprechungs-Gemach geh …«
Er verstummte. Sein Schnabel stand leicht offen. Sun-Tarin erkannte sofort warum: In den tiefgrünen Augen der jungen Kridan standen Tränen. Ihre Schnabelhälften zitterten, die Krallen krampften sich aufgeregt zusammen. »Ihr
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