Sternenfaust - 122 - Das Wrack
schien ihr schwer zu fallen, so als habe sie es lange nicht mehr gemacht. Vermutlich erklärte das auch den eigenartigen Klang ihrer Stimme – das und die schlechten hygienischen Zustände in ihrer behelfsmäßigen Zelle.
»Ich war noch recht jung, als die OCHRASY hier strandete«, fuhr sie schließlich fort. »Aber ich erinnere mich genau an die langen Gesichter der Erwachsenen. Die Blicke, die sie sich zuwarfen, wann immer ich in der Nähe war. Ich war das einzige Kind an Bord, und sie wollten nicht, dass ich das wahre Ausmaß der Katastrophe erfuhr. Anfangs rechneten sie ja noch damit, den Schaden beheben zu können, doch aus Tagen wurden Wochen, aus Wochen Monate, und nach wie vor hatten wir uns keinen Schritt weiterbewegt. Nicht einmal der Subraumfunk funktionierte, und als wir versuchten, eine Sonde mit einem Notrufsignal ins All zu schießen, verloren wir einen Techniker. Und eine Sonde.« Sie kicherte humorlos. »Was Epsilon VII betrifft – Fehlanzeige. Cho gelang es irgendwann, den Planeten zu scannen. Kein Leben, keine Atmosphäre, keine Chance. Zu dem Zeitpunkt hatte Girandieux bereits zwei der Shuttles startklar gemacht und mit Vorräten und Kleidung bestückt. Sie hätten sein Gesicht sehen sollen, als Chos Meldung über das Interkom kam … So viel Hass …«
Sie hob die Hand, strich sich das ungepflegte rote Haar zurück. Max erkannte, dass sie nicht älter als achtzehn oder neunzehn sein konnte. »Als die Starr kamen und von ihnen ausgeraubt wurden, sperrte man mich in mein Zimmer.
Ich sollte nicht mitbekommen, zu welch barbarischen Taten meine ach so edle Gemeinschaft sich herabgelassen hatte. Dabei hatte ich es längst erkannt. Denn die Metamorphose hatte langsam eingesetzt, schleichend. Hier ein böses Wort, dort ein falscher Tonfall, ein unnötiger Vorwurf … Und irgendwann die erste Ohrfeige, der erste Tritt. Aggressionen entstanden und bahnten sich ihren Weg. Klopstock vermutete zunächst eine Art U-Boot-Koller, der auf die Extremsituation und die Enge zurückzuführen sei, doch da war mehr. Ich glaube, das war ihm auch klar, nur hatte er Angst, es laut auszusprechen. Wir hatten nicht knapp acht Jahre gemeinsam auf diesem Schiff zugebracht, um dann plötzlich klaustrophobisch zu werden.«
»Eine Strahlung?«, vermutete Max. »Irgendetwas, dass das Verhalten der Männer beeinflusste?«
Sie nickte. »Nennen Sie es, wie Sie wollen. Es hat bis heute keinen Namen, denn diejenigen von uns, die es hätten medizinisch aufspüren können, waren die Ersten, bei denen es vollends ausgebrochen ist. Die armen Svenssons. Es sind gute Ärzte, wirklich. Zumindest waren sie das, früher einmal.« Sie schwieg einen Moment. »Es befiel die Männer, einen nach dem anderen, machte sie jähzornig, aufbrausend. Keine Ahnung, ob es hätte verhindert oder behandelt werden können, denn bis wir es zweifelsfrei festgestellt hatten, war es schon zu spät. Da tanzten die Svenssons schon nackt durch die Messe, und Savally hatte ein ungesundes Interesse an Klopstocks Haaren entwickelt. Ungesund für Klopstock. Ich weiß noch, wie die Frauen sich trafen, heimlich, und ihre Revolte planten.«
»Sie wollten weg?«
»Nicht unbedingt«, antwortete Natalie, »andererseits hatten wir das alle gewollt, irgendwo. Nein, sie wollten retten, was noch zu retten war. Sie glaubten an die Philosophie hinter Ochrasy. Und sie hofften, korrigieren zu können, was schief gelaufen war. Denn aus irgendeinem Grund waren die Frauen gegen das immun, was geschah. Sie sahen, wie ihre Männer zu tumben, paranoiden Idioten mutierten, anstatt sich weiterhin um die Reparatur des Schiffes zu kümmern. Cho, Ottomann – all die Spezialisten, die Robert für eben diesen Fall an Bord genommen hatte, – Sie waren nicht länger zurechnungsfähig. Also mussten die Frauen selbst aktiv werden.«
»Ich verstehe«, sagte Max leise. Er kannte den Rest dieser Geschichte bereits, Puissance hatte sie ihm selbst erzählt. »Als die Männer bemerkten, was vor sich ging, machten sie den vermeintlich Aufständischen den Prozess.«
Sie schnaubte. »So kann man es auch nennen. Robert tobte. Er sprach von Vertrauensbrüchen, von unaussprechlicher Enttäuschung, von Verrat an der Sache. Er hatte die Männer auf seiner Seite. Und die Männer hatten den Schlüssel zum Waffenschrank.« Natalies Blick kreuzte sich mit dem von Max. »Danach ging alles ganz schnell. Robert, völlig in seinem Wahn gefangen, wollte ein Exempel statuieren und ließ sie alle in den Frachtraum
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