Sternenfaust - 137 - Eine Milliarde Credits
Unsicherheit ist doch genau das, was dieser Kerl will.
»Überlegen Sie, was Sie riskieren wollen, Gregorovitch. Das Kind oder Ihren guten Ruf? Oder beides? 24 Stunden. Ich melde mich wieder, Walter.«
Das Bild verschwand.
Walter wählte die Nummer von Cassies ePad.
SCHWACHES SIGNAL – NUR AUDIO meldete sein eigener Kommunikator. Anscheinend war das Netz mal wieder überlastet. Bei der Menge an Kommunikationen, die vor allem rund um den Raumhafen getätigt wurden, keine Seltenheit.
»Cassie?«
Er hörte nicht sofort eine Antwort. Nur Stimmengewirr war im Hintergrund zu hören, dann eine unverständliche Durchsage. »Cassie, bist du da?«
»Du bist es, Walter«, hörte er dann leise.
»Ja, ich bin’s, Cassie.« Er räusperte sich. Offenbar war sie tatsächlich noch direkt am Flughafen. Er sah auf den Chronometer. Ja, sie war vor etwa einer Dreiviertelstunde gelandet. »Cassie, sag mir, ist alles in Ordnung?«
»Ja. Nein. Ich … Walt ist verschwunden.«
Erst jetzt schien die Möglichkeit, dass Walters Anrufer seine Drohung wirklich hatte umsetzen können, an Substanz zu gewinnen. Für einen Moment wurde Walter beinahe übel. Mit wem hatte er sich da eingelassen?
»Wo bist du gerade, Cassie?«
»Ich bin am Flughafen. In der …« Sie schien jemanden zu fragen. »… im Büro der Flughafen-Sicherheit. Terminal 4, Innersystemische Flüge.«
»Gut, ich bin unterwegs.« Er wollte schon auflegen, als er das ePad doch noch einmal hob. »Cassie, wir finden ihn, hörst du?«, hörte er sich zu seiner eigenen Überraschung sagen. »Mach dir keine Gedanken. Auf dem Mars geht niemand verloren.« Sie antwortete nicht, und für einen Moment hatte Walter das Gefühl, dass sie weinte. Irritiert schwieg er. Das kannte er von ihr nicht. Er konnte sich nicht erinnern, dass sie je wirklich die Fassung verloren hätte; selbst als sie ihn damals verlassen hatte, hatte sie das kühl und gelassen getan und beinahe ohne mit der Wimper zu zucken.
Doch als sie dann wieder sprach, war ihre Stimme zu seiner Erleichterung fest und ruhig. »Ich warte hier auf dich, Walter.«
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Walter lauschte einen Moment auf seine Gefühle. Doch er konnte sie nicht ergründen.
*
Er konnte von diesem Fenster über das gesamte Haupteingangsterminal sehen. Wie Ameisen sahen die Menschen da unten aus, klein, überschaubar, trotz ihrer wimmelnden Menge.
Die Schlangen vor den Abfertigungs- und Gepäckaufgabeschaltern waren in der letzten Stunde lang und länger geworden. Walter konnte von hier aus auch die Abflug- und Ankunftstafel erkennen, deren leuchtend gelb-orangefarbene Buchstaben für alle sichtbar frei in der Luft über den Schaltern hingen. Hinter mehr und mehr Flügen, ob nun interstellar oder innersystemisch, erschienen nun blinkende orangefarbene Punkte, und hinter diesen öfter und öfter das Wort Verspätet .
Er sah genauer auf die Massen, die sich immer wieder aufs Neue durch die Schleusen in die große Halle schoben. Er konnte jetzt erkennen, dass die ersten vorne am Schalter anfingen, zornig zu werden. Kein Wunder , dachte Gregorovitch ungerührt. Sie sind sauer, weil kein Gleiter mehr startet. An ihrer Stelle wäre ich auch wütend.
Er sah auf den Chronometer an der Wand.
Es war 13:46 MST, Mars Standard Time. Sie hatten noch nichts erreicht. Er spürte Ungeduld.
Hatte dieser Kerl wirklich die besseren Karten in der Hand? Wieder stand das arrogante und gleichzeitig spöttische Lächeln seines Anrufers, das er während der Gespräche nie gesehen hatte, aber das er dennoch als sicher annahm, vor seinem geistigen Auge.
Er ging im Stillen die Maßnahmen noch einmal durch, die seit seiner Ankunft am John-Carter-Raumhafen auf seinen Wunsch hin ergriffen worden waren. Hatte er irgendetwas vergessen? Cassie selbst hatte schon das Bild ihres Sohnes an die Behörden weitergegeben. Im ersten Durchlauf hatte der Zentral-Computer den Jungen auf den Überwachungskameras nicht gefunden, aber Walter hatte angeordnet, den Suchlauf so lange zu wiederholen, bis man etwas fand. Niemand wurde heutzutage vom Erdboden verschluckt, irgendetwas würde sich finden. Ebenso hatte sie – vernünftig, wie sie war – den Kid’sCall auf Dauerbetrieb gestellt; und Walter hatte veranlasst, dass alle elektronischen Gespräche, die sie führen musste, über sein ePad liefen, damit ihres immer frei blieb. Aber auch eine andere Überlegung hatte ihn zu dieser Anordnung veranlasst: Cassie hielt sich zwar tapfer und schrie
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