Sternenfaust - 138 - Tyrannenmord auf Kridania
zivile Kolonie der Menschen im Allister-System zu vernichten. Zur Errichtung eines Raisa-Tarishgar hatte dieses Vorgehen nicht viel beizutragen: Was nützte es eine zu Gott bekehrte Galaxis zu schaffen, in der niemand mehr lebte?
Sie erreichten einen Brunnen, aus dem rotes Wasser sprudelte. Es war erst vor Kurzem eingefärbt worden und sollte das Blut der Schnabellosen symbolisieren. Es war unter anderem dieser Brunnen, der dem Platz seinen neuen Namen im Volk gegeben hatte. Das Plätschern des Wassers machte es schwer, sie mit Abhörgeräten zu belauschen, deshalb blieben sie neben dem Brunnen stehen. Sun-Tarin sah, wie schwach seine Schwester war – der Gang auf den Platz hatte sie viel Kraft gekostet. Sie schwankte leicht.
Lera-Taris sah ihn nicht an. »Er ist stark«, flüsterte sie kaum hörbar. »Der Parasit macht ihn stärker. Er hat gewaltige Kräfte und kennt keine Grenze mehr.«
Sun-Tarin packte sie an den Schultern. »Sag endlich, was geschehen ist!«, zischte er. Er wollte feinfühliger sein, aber er konnte es nicht. Ihre Schwäche überforderte ihn. Sie war immer stark gewesen. Unbeugsam wie ein alter Resarbaum.
Sie sah ihn noch immer nicht an. »Ich will, dass er stirbt! Und zwar schnell!«
Die Sorge in Sun-Tarin wuchs. »Was weiß er von unserer Sache? Hat er dich gefoltert?«
»Er weiß nichts. Noch nichts. Und gefoltert hat er mich nur aus Spaß an der Freude, weil ich ihn an seine geliebte Saha-Fera erinnere.«
Sun-Tarins Klaue umschloss den Anhänger an seinem Hals. Die Angst drohte ihn zu überwältigen. Würde der Raisa seine Schwester ebenso töten wie die Priesterin, wenn er erkannte, dass sie über den Parasiten Bescheid wusste? Genau so war es wahrscheinlich abgelaufen: Saha-Fera hatte von dem Parasiten erfahren, und deswegen hatte der Raisa sie vom Heiligen Gebetsturm des Ersten Tempels gestoßen.
»Du musst den Palast verlassen«, flüsterte er. »Umgehend.«
»Er hat mir befohlen in seiner Nähe zu bleiben, damit ich jederzeit verfügbar bin.«
Sun-Tarin fasste ihre Klaue. »Flieh! Solange du noch kannst.«
»Aber damit gefährde ich die Mission.« Sie sah ihn an. Ihre Stimme war kaum zu hören, und doch war der Hass darin überdeutlich zu erkennen. »Wenn ich fliehe, wird das ein schlechtes Licht auf dich werfen, Sun-Tarin.« Sie zitterte. Ihre Schnabelhälften knirschten aufeinander. Nie hatte er sie so aus der Fassung gesehen. So verletzt.
»Ich werde dich nicht für diese Mission opfern. Wir stammen aus demselben Gelege!« Bei allen Heiligen, sie war seine Schwester! Niemand hatte das Recht, sich an ihr zu vergehen. Auch nicht der Raisa!
In diesem Moment begriff Sun-Tarin die Worte von Gregory Laurie und Satren-Nor endgültig: Der Raisa war nicht mehr Seran-Pakor. Er war zu einem Monster geworden.
Seine Schwester drückte sich Schutz suchend an sein Gefieder. »Ich wollte mich nicht wehren«, brachte sie leise hervor. »Ich wollte ja alles über mich ergehen lassen, aber beim dritten Mal konnte ich nicht mehr. Ich habe versucht ihn umzubringen, aber er hat nur gekrächzt vor Freude. Er war gar nicht mehr er selbst, ich glaube, er hat nicht einmal verstanden, was ich vorhatte.«
»Er hat deinen Angriff nicht ernst genommen?«
»Nein. Er hat ihn abgewehrt. Er ist wahnsinnig. Er wird unser Reich in den Untergang führen.«
Sun-Tarin beugte sich dicht an ihr Gesicht. »Nicht, wenn ich es verhindern kann!«
*
Es war ruhig im Ersten Tempel.
Sun-Tarin wusch sich in einem der siebzehn Sandbecken, die für die Oberste Schicht der Kridan zur Verfügung standen. Als ehemaliger Lehrer und Vertrauter des Raisa hatte er ein Anrecht darauf, in diesem Tempel ein- und ausgehen zu dürfen.
Nachdem er die rituelle Reinigung beendet hatte, ging er mit ruhigen Schritten in das Hauptschiff des gigantischen Tempels. Über ihm schraubte sich das Kuppeldach in schwindelerregende Höhe. Um ihn her standen Statuen der Heiligen. An den bemalten Wänden prangten Geschichten aus den Heiligen Schriften. Viele davon waren mit Sand gewirkt, der als dünne, festklebende Paste bunt und flächig aufgetragen war.
Sein Blick wanderte zum Sandbad des Raisa, das in der Mitte des Hauptschiffs lag und von einer Mauer und siebzehn Statuen umgeben war. In diesem Sandbad hatten die Verschwörer die Wahrheit entdeckt, als sie den Raisa unbemerkt durchleuchtet und die Ergebnisse aufgezeichnet hatten. Auch er hatte die Bilder inzwischen gesehen, und sie erfüllten ihn mit Grauen.
Sun-Tarin ging zu
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