Sternenfaust - 160 - Die Space-Oma
an.
»Was ist denn?«, rief Vater »Wie heißt es doch so schön: Die Torte wurde mit Liebe gebacken!«
Cody atmete aus und schritt auf den Tisch zu.
»Vierzehn Jahre«, sagte Vater anerkennend und musterte ihn. »Fast schon erwachsen!«
Langsam nahm Cody den Griff des Messers in die Hand. Es fühlte den glatten Kunststoff intensiver als sonst. Überhaupt schienen all seine Sinne schärfer geworden zu sein. Er konnte genau die verschiedenen Gerüche ausmachen. Er spürte den Boden durch seine Schuhe. Er hörte kleinste Geräusche. Er fühlte, wie sich seine Muskeln verhärteten.
»Willst du nicht die Kerze ausblasen?«, fragte Vater.
Stimmt, da war ja noch eine kleine Kerze.
»Ein alberner Brauch, ich weiß«, sagte Vater. »Wahrscheinlich zu kindisch. Aber tu es einfach trotzdem. Ein letztes Mal. Sozusagen als Abschied von der Kindheit.«
Cody holte kurz Luft und blies die Kerze aus. Die Flamme verschwand. Die Spitze des Dochts glühte noch, und Cody sah er zu, wie ein stark riechender Qualmfaden aufstieg.
»Ja, die Kindheit«, sinnierte Vater. Cody konnte ihm noch immer nicht ins Gesicht sehen. »Wusstest du, dass es bei alten Naturvölkern Rituale gab, wonach ein Kind mit dem vollendeten vierzehnten Lebensjahr als tot galt? Man glaubte, dass der Sprössling nun als Erwachsener wiedergeboren worden sei, und die Mütter des Stammes trauerten wie auf einer Beerdigung um den Tod ihres Kindes.«
Den Tod ihres Kindes , hallte es in Codys Gedanken nach.
»Natürlich«, fuhr Vater fort, »natürlich waren diese Rituale immer mit Schmerzen verbunden.«
Nun war die Katze also aus dem Sack. Cody hätte am liebsten laut aufgelacht, und er hätte es wohl auch getan, wenn sein Körper ihm noch gehorcht hätte.
»Ja, der Schmerz«, flüsterte Vater und fixierte ihn mit seinen boshaften Augen. »Die wohl intensivste Empfindung, die der Mensch je erfahren kann. Sogar noch intensiver – und vor allem dauerhafter – als Sex. Aber davon weißt du ja wahrscheinlich noch nicht viel!«
Cody musste den Drang unterdrücken, angewidert den Kopf zu schütteln. Noch immer hielt er den Griff des Messers umklammert. Er konnte es einfach nicht über sich bringen, die Torte anzuschneiden.
»Daher hat der Schmerz die Menschheit von Anfang an fasziniert«, sinnierte Vater weiter. »Schmerz, der eine innere Reinigung bewirkt. Schmerz, der Märtyrer erschafft.
Schmerz, der die Sünden bestraft. Allein die Vorstellungen von der Hölle! Ein Ort ultimativer Schmerzen, die nie aufhören, denen man für alle Ewigkeiten ausgeliefert ist, ohne sterben zu können.«
Noch immer bewegte sich Cody nicht. Er hörte die Stimme seines Vaters nur noch wie aus der Ferne. Das Rauschen nahm überhand. Sein Herzschlag beschleunigte sich.
»Dabei kann der Schmerz selbst einem gar nichts anhaben!« Nun jubelte Vater geradezu, und fast schien es, als würde ihn allein das Gerede vom Schmerz euphorisch erregen.
Cody wartete. Wobei er nicht wusste, worauf er wartete. Auf einen Superhelden? Auf jemanden, der kommen würde, um ihn in letzter Sekunde zu retten?
Die Stimme seines Vaters klang wie aus weiter Ferne. »Wie heißt es doch: Wir müssen nur die Furcht fürchten. Der Schmerz selbst kann uns nichts tun. Gut, schwächere Konstitutionen sterben vielleicht an einem Herzstillstand, aber das brauchen wir bei dir wohl nicht zu befürchten, nicht wahr? Es gibt wohl nichts so Belastbares wie ein junges Herz. Natürlich könnte der Hirn-Innendruck mit der Zeit, nach sehr, sehr langer Zeit, zu hoch …«
In diesem Moment beugte sich Cody vor und stach mit dem Tortenmesser zu. Es war eine so schnelle Bewegung, dass er sie selbst nur wie einen Schatten wahrnahm.
Codys Vater kippte durch die Wucht nach hinten und krachte zu Boden. Er hielt sich an der Tischdecke fest und riss Torte, Teller und Besteck mit sich.
Ein lautes Scheppern, dann eine seltsame Ruhe.
Und wieder dieses Rauschen …
Cody hob den Dolorator vom Boden auf, strich mit seinen Fingern über die glatte Fläche und ertastete die Ecken und Kanten. Er betrachtete den kristallenen Gegenstand, als sehe er ihn zum ersten Mal in seinem Leben.
Langsam ging er um den Tisch herum.
Das Bild war absurd.
Sein Vater lag in all dem Chaos. Zwischen zermatschten Tortenteilen und gesprungenem Geschirr, halb bedeckt vom fleckigen Tischtuch. Und er hielt sich den Hals, in dem noch immer das Tortenmesser steckte. Offenbar wagte er nicht, das Messer herauszuziehen, obwohl er verzweifelt damit zu tun hatte,
Weitere Kostenlose Bücher