Sternenfaust - 171 - Die Ritter der GRAFSCHAFT
einfachen Lederbeutel, der von einem Band zusammengehalten würde –, und blickte ihr Gegenüber fragend an. Die Wahrsagerin hob zwei Finger in die Höhe. Aurélie warf den geforderten Betrag in die Schale.
»Mein Name ist Celeste«, erklärte die Frau. »Und ich weiß, dass die Frage, die du mir stellen willst, von großer Bedeutung für dein Lebensglück ist.«
Aurélie nickte. Ihre Lippen bebten. Sie hatte Angst es laut auszusprechen. Womöglich würde sie erneut in Tränen ausbrechen.
»Der Wunsch nach einem Kind umlodert deine Aura wie ein alles verzehrendes Feuer«, sprach Celeste. Ihre Augen schienen zu glühen.
Aurélie sprang auf. »Woher … wissen Sie davon?« Ihr Atem ging stoßweise.
Celeste entzündete mit fliegenden Fingern einige Kerzen, woraufhin der Duft nach Orange und Lavendel sich mit einem Hauch von etwas anderem vermengte, das Aurélie jedoch nicht bestimmen konnte. Auf dem Tisch vor ihr stand eine Kugel aus milchigem Glas, in der mit einem Mal Nebel aufwallte. Um diese herum war ein Kreis aus undefinierbaren Symbolen in das Holz der Platte gebrannt.
»Was erschreckt dich so?«, erwiderte die Wahrsagerin. Sie sank zurück, auf den hölzernen Schemel. »Bist du nicht genau deshalb hier? Um zu erfahren, was der Strom der Zeit für dich bereithält?« Sie lächelte erneut ihr geheimnisvolles Lächeln.
»Ja, natürlich.« Aurélie dachte an René, ihren Mann. Er wünschte sich so sehr einen Sohn – genau wie sie. Doch ihr Kinderwunsch war bisher unerhört geblieben. Ist meine Frage so offensichtlich? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich kommen die meisten verheirateten Frauen aus dem gleichen Grund hierher. Und dass ich verheiratet bin, konnte die Wahrsagerin an meinem Ehering erkennen.
»Du stellst dir nun viele Fragen«, sprach Celeste, mit klarer Stimme, »doch sie sind alle ohne Bedeutung. Das einzig Wichtige ist jenes Problem, das dich hierher geführt hat.« Ihre Hände fuhren über die Kugel, woraufhin der Nebel erneut aufwallte. »Ich erkenne die Ströme der Zeit, sehe, was gewesen ist, was geschieht, und was einst sein wird. So viele Schicksale, so zahlreiche Geschichten. Sie alle sind miteinander verwoben. Jedes Leben, jede Entwicklung ist bedeutend, auch wenn es manchmal gänzlich anders erscheint.«
Aurélie wurde unruhig. »Was bedeutet das? Werde ich einem Kind das Leben schenken dürfen?«
Die Wahrsagerin griff nach einem kleinen Kästchen, das auf einem einfachen Holzregal in der Nähe stand. Sie zog es zwischen zwei abgewetzten Büchern hervor, deren Einband löchrig und verblichen war. Bedächtig schob sie es zu Aurélie.
»Was ist das?« Mit zittrigen Fingern griff Aurélie nach dem Kästchen. Es war aus braunem Holz. In die Oberseite waren jene Symbole eingebrannt, die sich auch auf der Tischplatte befanden. An allen vier Seiten ragten die Enden kleiner Stäbe hervor, die ihrerseits durch Haken gehalten wurden.
»Was du in Händen hältst, ist ein Geschenk.« Celeste lächelte erneut. »In neun Monaten wirst du einen Jungen empfangen. Reiche dieses Kästchen an ihn weiter, wenn er das Mannesalter erreicht. Und so soll auch er es tun. Nachkomme um Nachkomme, Hüter um Hüter.«
»Was befindet sich in dem Kästchen?«
»Du darfst es nicht öffnen – niemals. Eines Tages, weit entfernt im Zeitstrom der Geschichte, wird einer deiner Nachkommen wissen, wann die Zeit reif ist. Erst dann kann der Inhalt offenbart werden. Bis dahin soll es euch beschützen.«
»In Ordnung«, murmelte Aurélie. »Wenn ich nur endlich ein Kind empfangen kann. Ich werde mich an deine Worte halten.«
»Natürlich wirst du das. Dein Denken wird bald von anderen Dingen bestimmt.«
Ein Sohn , hallte es in Aurélie wieder. René würde begeistert sein. Ein Stammhalter für die Familie.
»Vielen Dank«, hauchte sie.
Celeste nickte nur und lächelte.
Selbst als Aurélie das Zelt der Wahrsagerin schon lange verlassen hatte, sah sie das Lächeln noch immer vor sich. Das geheimnisvolle Lächeln und die uralten Augen. Augen, die den Atem der Ewigkeit verströmten.
*
Sedna
Far-Horizon-Forschungsakademie
20. November 2272, 10.17 Uhr
»Nicht trödeln«, forderte Alicia.
Ihre Jüngste hatte sich die Nase an der Scheibe platt gedrückt, um all die Wissenschaftler und Hilfskräfte zu beobachten, die im dahinterliegenden Labor arbeiteten. Nun zog sie einen Schmollmund – kein Wunder, dass die Jungs jetzt schon Schlange stehen –, drehte sich um, und rannte hinter Jessica Tyler her,
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